Regina Hallerz

 

Foto: Kulturladen Westend

 

Geboren am 29. März 1879 in Tarnów
Deportiert am 20. November 1941 nach Kaunas
Ermordet am 25. November 1941 in Kaunas

 

Geburt in Galizien

Regina Hallerz wurde am 29. März 1879 als Riwka Malka Anker in Zawale, einer Vorstadt von Tarnów geboren. Das circa 90 km östlich von Krakau gelegene Tarnów war damals eine bedeutende Handelsstadt im österreichischen Kronland Galizien. Beinahe die Hälfte der etwa 25.000 Einwohner waren Juden. Die Eltern von Regina Hallerz waren der Schneidermeister Josef Anker und seine Frau Lea N. Anker, geborene Säbel.

Aufenthalt in Berlin

Regina Hallerz war Arbeiterin in einer Zigarrenfabrik und wohnte in der Spandauerstraße 25 in Berlin. Am 24. März 1905 heiratete sie im Standesamt III Berlin-Charlottenburg den Malermeister Martin Bärenkraut, späterer Familienname Hallerz. Nach der Hochzeit zogen sie nach München, wo Martin Hallerz schon vorher gewohnt hatte.

Spandauerstraße 25, Berlin (2019)


Familiengründung

Martin Hallerz betrieb seit 1906 eine Dekorationsmalerei in der Landwehrstraße 21, in der er 1938 drei Gehilfen und zwei Lehrlinge beschäftigte. Das Ehepaar wohnte in der Landsbergerstraße 14, wo am 09. Februar 1906 ihr Sohn Hermann geboren wurde. Im Jahr darauf, am 10. Juli 1907, kam Tochter Frida zur Welt. Am 30. Januar 1909 folgte Albert und schließlich, am 24. September 1910, Berta.

Am 06. Juli 1920 zog die Familie Hallerz in die Anglerstraße 9 im Stadtteil Westend.


Landsbergerstraße 14, München (2019)

Anglerstraße 9, München (2019)


Abschiebung der Familie nach Polen

Nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 befürchtete die polnische Regierung, dass viele polnische Juden wegen der Politik der NS-Regierung in Deutschland zurück nach Polen kommen könnten. Um dies zu verhindern, erließ sie ein Gesetz, nach der alle Pässe der „Ostjuden“ mit Wirkung vom 29. Oktober 1938 nicht mehr zum Grenzübertritt nach Polen berechtigten, wenn diese Pässe nicht einen Prüfungsvermerk enthielten. Daraufhin erließ Heinrich Himmler eine Anweisung, die als „Polenaktion“ bekannt wurde. Er ließ mindestens 17.000 im Deutschen Reich lebende, aus Polen eingewanderten Juden verhaften, um sie nach Polen auszuweisen.

Im Zuge dieser Aktion wurde Regina Hallerz mit ihrem Mann und den beiden Söhnen am 28. Oktober 1938 festgenommen und in das Gefängnis Stadelheim eingeliefert. Dort erklärte man ihnen, dass sie am nächsten Tag mit dem Zug nach Polen abgeschoben werden: „Deutschland braucht keine staatenlosen polnischen Juden, wir haben genug deutsche Juden.“ Die Familie wurde mit den Nummern 434 bis 437 erfasst und mit insgesamt 520 weiteren Juden polnischer Staatsangehörigkeit in einem Sonderzug in Richtung Polen transportiert. Die polnischen Grenzbeamten in Zbąszyń (deutsch: Bentschen) verweigerten ihnen jedoch die Einreise.

Am 30. Oktober 1938 traf bei der Reichsbahn in München um 8 Uhr 30 ein fernmündliches Ersuchen ein, was mit dem von den Polen nicht übernommenem Transport polnischer Juden geschehen solle. Die Antwort lautete: zurück nach München. Bei der Ankunft wurde die Familie Hallerz wieder auf freien Fuß gesetzt. Infolge der Aufregung erlitt einer der Söhne einen Nervenzusammenbruch und die gesamte Familie verließ die Wohnung mehrere Tage nicht. Martin Hallerz übte auch seinen Beruf nicht mehr aus und meldete am 30. Dezember 1938 seinen Betrieb „Dekorationsmalerei“ rückwirkend zum 28. Oktober 1938 ab. Die Familie lebte nur noch von ihren Ersparnissen.


Die Verhaftung Martin Hallerz

Die Gestapo nahm Martin Hallerz als „polnischen Juden“ am 09. September 1939 in Schutzhaft und hielt ihn bis zum 12. Oktober 1939 im Gestapo-Gefängnis im Wittelsbacher Palais fest. Danach überstellten sie ihn zunächst ins Polizeigefängnis Ettstraße und verschleppten ihn am 16. Oktober 1939 ins Konzentrationslager Buchenwald.

Gestapo-Bild, 1939, Staatsarchiv München Pol.Dir.13457

Gestapo-Bild, 1939, Staatsarchiv München Pol.Dir.13457


Rettungsversuch

Um die Entlassung ihres Mannes aus dem Konzentrationslager zu erreichen, bemühte sich Regina Hallerz um eine Emigration. Den für einen Antrag notwendigen polnischen Reisepass ihres Mannes sandte die Kommandantur des Konzentrationslagers Buchenwald am 04. Januar 1940 an die Gestapo München zur Weiterleitung an Regina Hallerz.

Am 20. September 1940 war Regina Hallerz gezwungen, ihre Wohnung in der Anglerstraße aufzugeben. Für mehr als ein Jahr war sie daraufhin im Übernachtungshaus der Israelitischen Kultusgemeinde in der Wagnerstraße 3 untergebracht. In diesem ehemaligen Lehrlingsheim der IKG, das die jüdische Gemeinde im Sommer 1928 erworben hatte, waren ab Frühjahr 1939 ältere jüdische Menschen und Familien untergebracht.

Regina Hallerz beantragte am 21. Oktober 1940 das für den Auswanderungsantrag erforderliche polizeiliche Führungszeugnis für ihren Mann. Die Gestapo verweigerte jedoch ihre Zustimmung.

Am 22. Oktober 1940 erhielt Regina Hallerz eine Unterkunft in der Herzog-Heinrich-Straße 8/II bei dem Immobilien- und Nutzholzgroßhändler Adolf Strauss und seiner Frau Babette zugewiesen. Adolf Strauss war Besitzer dieses sogenannten Judenhauses, in dem jüdische Münchner zwangsweise untergebracht waren. Am 21. März 1941 wurde das Anwesen enteignet. Die Familie Strauss und alle anderen jüdischen Bewohner mussten die Wohnungen räumen.

Für Regina Hallerz fand sich wieder nur ein Quartier in der Wagnerstraße 3. Von dort brachte man die mittlerweile 62-Jährige in die von den Nazis beschönigend genannte Judensiedlung Milbertshofen in der Knorrstraße 148. Dieses Zwangsarbeiterlager diente unter anderem als Sammellager vor den Deportationen.


Deportation

Auf der Deportationsliste nach Riga, vom 15. November 1941, wird Regina Hallerz mit der Nummer 496 „ohne Beruf“ und „staatenlos“ aufgeführt. Zur gleichen Zeit erhielt sie ihren Deportationsbescheid. Lediglich einen Koffer mit 50 Kilogramm Gepäck durfte sie mitnehmen, dazu Proviant für drei Tage. Für die Fahrt ins Ungewisse musste sie 50 Reichsmark für „Transportkosten“ bezahlen. Die von Reinhard Heydrich, dem Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, initiierte erste Deportation aus der „Hauptstadt der Bewegung“ verließ die Stadt am 20. November 1941 Richtung Riga. Wegen der Überfüllung des Ghettos in Riga musste der Transport der 999 jüdischen Münchner nach Kaunas, im heutigen Litauen, umgeleitet werden.

Drei Tage dauerte die Fahrt, zwei Tage waren sie dann in den nasskalten Verliesen von Fort IX, der alten Festung von Kaunas, untergebracht. Am 25. November 1941 wurden alle in Massenerschießungen ermordet.

Regina Hallerz wurde laut Amtsgericht München, Urkunde Reg. II 429/51 vom 16. Juli 1951, für tot erklärt. Der Zeitpunkt des Todes wurde auf den 30. November 1941 festgelegt.


Martin Hallerz

Der 64-Jährige Martin Hallerz wurde am 11. März 1942 in der Tötungsanstalt Bernburg ermordet.

Auf dem Neuen Israelitischen Friedhof in der Garchinger Straße in München erinnert noch heute ein Gedenkstein an Regina Hallerz und ihren Mann Martin.


Neuer Israelitischer Friedhof (2020)

 

Erinnerungszeichen für Regina und Martin Hallerz

Seit 24. November 2019 steht vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Hallerz, Anglerstraße 9, ein Erinnerungszeichen.

Erinnerungszeichen für Regina und Martin Hallerz, Anglerstraße 9 (2019)

Am 24. November 2019 vor der Anglerstraße 9

Am 24. November 2019 vor der Anglerstraße 9

 

Die Kinder der Eheleute Hallerz

Hermann Hallerz

Hermann Hallerz wurde am 09. Februar 1906 in der Landsbergerstraße 14 in München als erstes Kind von Martin und Regina Hallerz geboren.

Nach Absolvierung seiner Schulzeit, erst Volksschule bis zum zehnten Lebensjahr, dann Ludwig-Kreis-Realschule, erlernte Hermann wie sein Vater das Malerhandwerk. Er begann seine Berufstätigkeit als Malerlehrling im Geschäft seines Vaters und blieb dort auch nach seiner Gesellenprüfung.

Er erhielt seinen Meisterbrief am 29. März 1938, nachdem er die Meisterprüfung bestanden hatte. Sein Vater machte ihn daraufhin zum Mitinhaber des Geschäfts. Der Malereibetrieb Martin Hallerz war ein gut fundiertes, angesehenes Unternehmen.

Am 28. Oktober 1938 wurden er und seine Familie verhaftet, in das Gefängnis Stadelheim eingeliefert und am nächsten Tag, in einem Sonderzug, in Richtung Polen transportiert. Der Transport von polnischen Juden wurde von den Polen nicht ins Land gelassen und kehrte deshalb am 30. Oktober 1938 nach München zurück. Bei Ankunft wurde die Familie Hallerz wieder auf freien Fuß gesetzt. Infolge der Aufregung erlitt Hermann oder sein jüngerer Bruder einen Nervenzusammenbruch und die gesamte Familie verließ die Wohnung mehrere Tage nicht.

Hermann Hallerz emigrierte am 20. Februar 1939 nach London. Nach der Einwanderung lebte er zunächst in einem Flüchtlingslager ohne Arbeitserlaubnis. Nach Ausbruch des Krieges meldete er sich als Freiwilliger zur englischen Armee. Im Oktober 1943 wurde Hermann Hallerz aus Gesundheitsgründen entlassen. Die Arbeitssuche gestaltete sich schwierig. Anfangs fand er nur Arbeit mit einem so geringen Verdienst, dass er keine Steuern zahlen musste. Schließlich fand er Arbeit als Knopfmacher im Angestelltenverhältnis und nahm am 24. Juli 1947 die britische Staatsangehörigkeit an.

Hermann Hallerz starb 1970 in London.


Frida Hallerz

Frida Hallerz wurde am 10. Juli 1907 in der Landsbergerstraße 14 in München als zweites Kind von Martin und Regina Hallerz geboren.

Sie heiratete am 09. Mai 1932 im Standesamt München IV den christlichen Sanitätsunteroffizier Michael Binner, geboren am 28. Januar 1904 in Rosenheim. Er war bei der 7. Bayerischen Sanitätsabteilung, Sanitätsstaffel München, und wohnte in der Lazarettstraße 10.

Am 18. Mai 1933 wurde ihr Sohn Bernhard Maria Michael Binner geboren.

Während ihr Mann im Krieg war, musste Frida vier Jahre Zwangsarbeit (1941-1945) bei der Batteriefabrik Kammerer und im Verlag/Druckerei Oldenbourg leisten. Sie überlebte die Shoah weil sie mit einem christlichen Mann verheiratet war.

Die Ehe zwischen Michael Binner und Frida, geborene Bärenkraut, wurde am 21. April 1953 geschieden. Frida Binner starb am 11. Januar 1997 in München.


Albert Hallerz

Albert Hallerz wurde am 30. Januar 1909 in der Landsbergerstraße 14 in München als drittes Kind von Martin und Regina Hallerz geboren.

Albert Hallerz war bis Ende 1938 Gehilfe im väterlichen Geschäft. Für die Tätigkeit als Gehilfe hatte er – wie auch sein Bruder Hermann – freie Kost und Unterkunft und ein Entgelt in bar von ungefähr 100 Mark monatlich. Ferner erhielt er die Erstattung für notwendige Ausgaben, wie Kleidung etc.

Albert heiratete am 16. März 1939 im Standesamt München III, die am 15. Juni 1907 in München geborene Irma Feldmeier. Ihre Eltern waren der Kaufmann Louis und Karoline Feldmeier, geb. Braun.

Irma Feldmeier lebte vom 01. Januar 1936 bis 02. Januar 1939 bei den Eltern in der Häberlstraße 17 und anschließend, vom 02. Januar 1939 bis 16. März 1939, am St. Pauls-Platz 3. Nach der Hochzeit zog sie am 16. März 1939 bis zur Emigration zur Familie Hallerz in die Anglerstraße 9.

Mit der SS Washington fuhren Albert und Irma Hallerz in der dritten Klasse mit einer Kiste und mehreren Koffern nach New York, wo sie am 12. Mai 1939 ankamen und nach Philadelphia weiterreisten. Die lebensrettende Schiffspassage kostete damals ca. 280 Reichsmark (pro Person $ 113,50).

Die Eltern von Irma Hallerz, ihre ältere Schwester Martha und ihre Tante überlebten das Naziregime nicht. Wie Regina Hallerz standen auch sie auf der Transportliste nach Kaunas vom 15. November 1941. Sie hatten die Deportationsnummern 544 bis 547 und wurden am 25. November 1941 ermordet.

Albert Hallerz starb im November 1983 in Philadelphia, Pennsylvania.

Irma Hallerz überlebte ihren Mann um 12 Jahre und starb am 01. September 1995 ebenfalls in Philadelphia.


Berta Hallerz

Berta Hallerz wurde am 24. September 1910 in der Landsbergerstraße 14 in München als viertes Kind von Martin und Regina Hallerz geboren.

Sie heiratete am 01. Juli 1932 den Kaufmann Fritz Schöpf aus Südtirol und wohnte mit ihm in der Destouchesstraße 16, später in der Degenfeldstraße 5.

Im Jahre 1931 hatte Fritz Schöpf eine Weingroßhandlung, Kellereien und ein Büro in der Goethestraße 28. Er war Inhaber der Firma Giovanni Mezzari in der Franz-Joseph-Straße 11.

Berta bekam durch die Heirat mit Fritz Schöpf die italienische Staatsbürgerschaft und überlebte deshalb die Shoah in München. Sie starb am 28. Mai 2003.


Text und Recherche

  • Ruth und Klaus-Peter Münch

Quellen

  • Archiv der Gedenkstätte für Opfer der »NS-Euthanasie« Bernburg

  • Archiv der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora

  • Arolsen Archives früher ITS Bad Arolsen, 5280794, 5284880, 5290701, 5373239, 6056753-6056760, 70118498, / ITS Digital Archive

  • Bayerisches Hauptstaatsarchiv, LEA (Landesentschädigungsamt) 15326, 42937, 48977, 48982

  • IfZ Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, IfZ-Archiv, Fa 208, Deportationsliste Riga vom 15.11.1941

  • Staatsarchiv München, Pol. Dir. 13457 und 7016

  • Stadtarchiv München, EMA, Gewerbeamt / Arisierung Bestellnr. 59 (Agb. 7/12 a) 

Literatur

  • Widerstand und Verfolgung im Münchner Westend 1933-1945: Ein Stadtteilführer, Hrsg.: KulturLaden Westend, München 1997.

  • Willie Glaser, Die Deportation der in Deutschland lebenden polnischen Juden: Die Ereignisse in München im Oktober 1938, http://www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/DE_MU_JU_ostjuden.pdf aufgerufen am 07.06.2019.

 
Zurück
Zurück

Martin Hallerz

Weiter
Weiter

Siegmund Hellmann