Martin Hallerz

 
Foto: Kulturladen Westend

Foto: Kulturladen Westend

 

Geboren 9.12.1877 in Tarnów
Deportiert 16.10.1939 in das Konzentrationslager Buchenwald
Ermordet 11.03.1942 in der Tötungsanstalt Bernburg

 

Geburt in Galizien und die Nachnamen Bärenkraut, Haller und Hallerz

Martin Hallerz wurde am 09.12.1877 in Tarnów, in der Vorstadt Strusina, geboren. Das heute im südlichen Polen, ca. 90 km östlich von Krakau, gelegene Tarnów war damals eine bedeutende Handelsstadt im österreichischen Kronland Galizien. Beinahe die Hälfte der ca. 25.000 Einwohner waren Juden. Martins Vater war der Maler Hermann Hallerz und seine Mutter Jette Hallerz, geborene Bärenkraut. Da seine Eltern nur rituell geheiratet hatten, musste Martin offiziell den Geburtsnamen seiner Mutter tragen. Er nannte sich aber Hallerz, oft auch Haller.

Er leistete vom 05.10.1899 bis 15.10.1902 seinen Militärdienst beim ehemaligen Salzburger Infanterie Regiment 57. Dies wurde auch Galizisches Infanterieregiment genannt und bestand zu über 90 % aus Polen.


Heirat in Berlin

Martin Hallerz heiratete am 24.03.1905 in Berlin-Charlottenburg die ebenfalls in Tarnów geborene Zigarrenarbeiterin Regina Riwka Malka Anker. Er wohnte zu jener Zeit in der Gardes-du-Corps-Straße 11 und sie in der Spandauer Straße 25. Im gleichen Jahr verstarb sein Vater in Tarnów. Das Ehepaar Hallerz zog nach München, wo M. Hallerz bereits seit 1898 in der Anglerstraße 9 gewohnt haben soll.


 

Landsbergerstr. 14 (2019)

Das Malergeschäft in München

Er betrieb seit 1906 eine Dekorationsmalerei (»ein gut fundiertes angesehenes Unternehmen«) in der Landwehrstraße 21, in der er 1938 drei Gehilfen (darunter seine beiden Söhne) und zwei Lehrlinge beschäftigte. Martin Hallerz war für viele Jahre, bis zum Oktober 1938, Mitglied der Maler- und Lackiererinnung München. Das Ehepaar wohnte zu jener Zeit in der Landsbergerstraße 14. Hier bekamen sie vier Kinder, zwei Söhne und zwei Töchter.


Anglerstraße 9, München (2019)

Der 1. Weltkrieg

Am ersten Mobilmachungstag (01.08.1914) wurde Martin Hallerz als Unteroffizier eingezogen und geriet bereits am 06.09.1914 bei Wola-Pawlowska in russische Gefangenschaft. Er war in verschiedenen Gefangenenlagern in Sibirien und wurde erst am 19.06.1920 vom Kockstedter Lager bei Hamburg entlassen. Er zog dann, am 06.07.1920, mit seiner Familie in die Anglerstraße 9 in München.

Nach jahrelangen Bemühungen erteilte der Woiwode von Krakau am 28.12.1937 die Genehmigung, dass der bisherige Familienname Bärenkraut in Hallerz geändert werden darf. Die verschiedenen Namen und unterschiedlichen Adressen von Wohnort und Gewerbebetrieb führten zu erheblicher Verwirrung im Münchner Gewerbeamt.


Ausweisung nach Polen

Nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 befürchtete die polnische Regierung, dass viele polnische Juden wegen der Politik der NS-Regierung in Deutschland zurück nach Polen kommen könnten. Um dies zu verhindern, erließ sie ein Gesetz, nach der alle Pässe der »Ostjuden« mit Wirkung vom 29.10.1938 nicht mehr zum Grenzübertritt nach Polen berechtigten, wenn diese Pässe nicht einen Prüfungsvermerk enthielten. Daraufhin erließ Heinrich Himmler eine Anweisung, die als „Polenaktion“ bekannt wurde. Es war die Verhaftung von mindestens 17.000 im Deutschen Reich lebenden, aus Polen eingewanderten Juden und ihre Ausweisung nach Polen.

Landwehrstraße 21 (2019)

Im Zuge dieser Aktion wurde Martin Hallerz mit seiner Ehefrau und den beiden Söhnen am 28.10.1938 verhaftet und in das Gefängnis Stadelheim eingeliefert. Dort wurde ihnen verkündet, dass sie am nächsten Tag mit dem Zug nach Polen abgeschoben werden. Man erklärte ihnen: „Deutschland braucht keine staatenlosen polnischen Juden, wir haben genug deutsche Juden.“ Die Familie wurde mit den Nummern 434 bis 437 erfasst und mit insgesamt 520 anderen Juden polnischer Staatsangehörigkeit in einem Sonderzug in Richtung Polen transportiert. Die polnischen Grenzbeamten in Zbąszyń (deutsch: Bentschen) haben jedoch den eigenen Staatsbürgern jüdischen Glaubens die Einreise verweigert.

Am 30.10.1938 traf bei der Reichsbahn in München um 8 Uhr 30 ein fernmündliches Ersuchen ein, was mit dem von den Polen nicht übernommenem Transport polnischer Juden geschehen solle. Die Antwort lautete: zurück nach München. Bei Ankunft wurde die Familie Hallerz wieder auf freien Fuß gesetzt. Infolge der Aufregung erlitt einer der Söhne einen Nervenzusammenbruch und die gesamte Familie verließ die Wohnung mehrere Tage nicht. „Während dieser Zeit unterließ Hallerz jede gewerbliche Tätigkeit, die infolge der nach dem 09.11.1938 eingetretenen Verhältnisse dann auch weiterhin unterblieb.“ Am 30.12.1938 hatte Martin Hallerz seinen Betrieb „Dekorationsmalerei“ in der Landwehrstraße 21 rückwirkend zum 28.10.1938 abgemeldet. Die Familie lebte anschließend von Ersparnissen.


Gestapo-Bild, 1939, Staatsarchiv München

Verhaftung und Deportation

Mit dem Überfall auf Polen befand sich Deutschland im Kriegszustand und Martin Hallerz wurde als polnischer Jude am 09. September 1939 von der Gestapo in Schutzhaft genommen. Bis zum 12.10.1939 war er im Gestapo-Gefängnis im Wittelsbacher Palais inhaftiert. Am nächsten Tag wurde er laut Haftbucheintrag Nr. 11252/39 ins Polizeigefängnis Ettstraße eingeliefert und drei Tage später, am 16.10.1939, ins Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Dort bekam er zunächst die Häftlingsnummer 10.400, später 3.724. Er musste schwerste Zwangsarbeit im Arbeitskommando Steineträger im gefürchteten Steinbruch leisten. Er wurde auch als Maurer beim Bau der Truppengarage eingesetzt.


Rettungsversuche

Regina Hallerz wollte einen Antrag zur Betreibung der Auswanderung stellen. Am 04.01.1940 wurde deshalb der polnische Reisepass von Martin Hallerz von der Kommandantur des Konzentrationslagers Buchenwald an die Gestapo München zur Weiterleitung an Frau Hallerz versandt.

Ebenfalls beantragte sie am 21.10.1940 ein polizeiliches Führungszeugnis für ihren Mann beim Polizeipräsidium München. Sie wollte es beim Konzentrationslager Buchenwald für die Entlassung ihres Mannes verwenden. Diesem Antrag wurde unter Einschaltung der Gestapo nicht zugestimmt und Frau Hallerz wurde davon unterrichtet.


Tod von Martin Hallerz

Im Alter von 64 Jahren war Martin Hallerz am Ende seiner Kräfte und galt für das NS-Regime als „arbeitsunfähig“. Er wurde daraufhin, am 11.03.1942, mit 89 anderen Häftlingen in die NS-Tötungsanstalt Bernburg verschickt und dort sofort in einer Gaskammer mit Kohlenmonoxid vergast. Dies geschah im Rahmen der Euthanasieprogramme „Aktion T4“ und „Aktion 14f13“, wo allein in Bernburg zwischen 1940 und 1943 über 14.000 Menschen vergast wurden.

Neuer Israelitischer Friedhof (2020)

Zur Verschleierung seiner wahren Todesumstände wurde die Sterbeurkunde für Martin Hallerz vom Standesamt Weimar II, dem Standesamt des Konzentrationslagers Buchenwald, am 10. April 1942 mit der Nummer 465/42 ausgestellt. Kreislaufschwäche wurde fälschlicherweise, wie sehr oft auf ähnlichen Sterbeurkunden, als Todesursache genannt. Auch Todesdatum und Todesort wurden vom Standesamt vorsätzlich geändert: Der Maler Moses Bärenkraut false Haller, mosaisch, ist am 20. März 1942 um 1 Uhr 05 in Weimar-Buchenwald verstorben.

Regina Hallerz gelang keine Ausreise mehr. Sie wurde mit dem ersten Transport von München nach Kowno (Kaunas) in Litauen deportiert und dort am 25.11.1941 ermordet.

 

Die Kinder der Eheleute Hallerz

 

Hermann Hallerz

Hermann Hallerz wurde am 09.02.1906 in der Landsbergerstraße 14 in München als erstes Kind von Martin und Regina Hallerz geboren.

Nach Absolvierung seiner Schulzeit, erst Volksschule bis zum zehnten Lebensjahr, dann Ludwig-Kreis-Realschule, erlernte Hermann wie sein Vater das Malerhandwerk. Er begann seine Berufstätigkeit als Malerlehrling im Geschäft seines Vaters und blieb dort auch nach seiner Gesellenprüfung.

Er erhielt seinen Meisterbrief am 29.03.1938, nachdem er die Meisterprüfung bestanden hatte. Sein Vater machte ihn daraufhin zum Mitinhaber des Geschäfts. Der Malereibetrieb Martin Hallerz war ein gut fundiertes angesehenes Unternehmen.

Am 28.10.1938 wurden er und seine Familie verhaftet und in das Gefängnis Stadelheim eingeliefert und am nächsten Tag, in einem Sonderzug, in Richtung Polen transportiert. Der Transport von polnischen Juden wurde von den Polen nicht ins Land gelassen und kehrte deshalb am 30.10.1938 nach München zurück. Bei Ankunft wurde die Familie Hallerz wieder auf freien Fuß gesetzt. Infolge der Aufregung erlitt Hermann oder sein jüngerer Bruder einen Nervenzusammenbruch und die gesamte Familie verließ die Wohnung mehrere Tage nicht.

Hermann Hallerz emigrierte am 20.02.1939 nach London. Nach der Einwanderung lebte er zunächst in einem Flüchtlingslager ohne Arbeitserlaubnis. Nach Ausbruch des Krieges meldete er sich als Freiwilliger zur englischen Armee. Im Oktober 1943 wurde Hermann Hallerz aus Gesundheitsgründen entlassen. Die Arbeitssuche gestaltete sich schwierig. Anfangs fand er nur Arbeit mit einem so geringen Verdienst, dass er keine Steuern zahlen musste. Schließlich fand er Arbeit als Knopfmacher im Angestelltenverhältnis und nahm am 24.07.1947 die britische Staatsangehörigkeit an.

Hermann Hallerz starb 1970 in London.


Frida Hallerz

Frida Hallerz wurde am 10.07.1907 in der Landsbergerstraße 14 in München als zweites Kind von Martin und Regina Hallerz geboren.

Sie heiratete am 09.05.1932 im Standesamt München IV den christlichen Sanitätsunteroffizier Michael Binner (geboren am 28.01.1904 in Rosenheim). Er war bei der 7. Bayerischen Sanitätsabteilung, Sanitätsstaffel München, und wohnte in der Lazarettstraße 10.

Am 18.05.1933 wurde ihr Sohn Bernhard Maria Michael Binner geboren.

Während ihr Mann im Krieg war, musste Frida vier Jahre Zwangsarbeit (1941-1945) bei der Batteriefabrik Kammerer und im Verlag/Druckerei Oldenbourg leisten. Sie überlebte die Shoah weil sie mit einem christlichen Mann verheiratet war.

Die Ehe zwischen Michael Binner und Frida, geborene Bärenkraut, wurde am 21.04.1953 geschieden. Frida Binner starb am 11. Januar 1997 in München.


Albert Hallerz

Albert Hallerz wurde am 30.01.1909 in der Landsbergerstraße 14 in München als drittes Kind von Martin und Regina Hallerz geboren.

Albert Hallerz war bis Ende 1938 Gehilfe im väterlichen Geschäft. Für die Tätigkeit als Gehilfe hatte er – wie auch sein Bruder Hermann – freie Kost und Unterkunft und ein Entgelt in bar von ungefähr 100 Mark monatlich. Ferner erhielt er die Erstattung für notwendige Ausgaben, wie Kleidung etc.

Albert heiratete am 16.03.1939 im Standesamt München III, die am 15.06.1907 in München geborene Irma Feldmeier. Ihre Eltern waren der Kaufmann Louis und Karoline Feldmeier, geb. Braun.

Irma Feldmeier lebte vom 01.01.1936 bis 02.01.1939 bei den Eltern in der Häberlstraße 17 und anschließend, vom 02.01.1939 bis 16.03.1939, am St. Pauls-Platz 3. Nach der Hochzeit zog sie am 16.03.1939 bis zur Emigration zur Familie Hallerz in die Anglerstraße 9.

Mit der SS Washington fuhren Albert und Irma Hallerz in der dritten Klasse mit einer Kiste und mehreren Koffern nach New York, wo sie am 12.05.1939 ankamen und nach Philadelphia weiterreisten. Die lebensrettende Schiffspassage kostete damals ca. 280 Reichsmark (pro Person $ 113,50).

Die Eltern von Irma Hallerz, ihre ältere Schwester Martha und ihre Tante überlebten das Naziregime nicht. Wie Regina Hallerz standen auch sie auf der Transportliste nach Kaunas vom 15. November 1941. Sie hatten die Deportationsnummern 544 bis 547 und wurden am 25. November 1941 ermordet.

Albert Hallerz starb im November 1983 in Philadelphia, Pennsylvania.

Irma Hallerz überlebte ihren Mann um 12 Jahre und starb am 01.09.1995 ebenfalls in Philadelphia.


Berta Hallerz

Berta Hallerz wurde am 24.09.1910 in der Landsbergerstraße 14 in München als viertes Kind von Martin und Regina Hallerz geboren.

Sie heiratete am 01.07.1932 den Kaufmann Fritz Schöpf aus Südtirol und wohnte mit ihm in der Destouchesstraße 16, später in der Degenfeldstraße 5.

Im Jahre 1931 hatte Fritz Schöpf eine Weingroßhandlung, Kellereien und ein Büro in der Goethestraße 28. Er war Inhaber der Firma Giovanni Mezzari in der Franz-Joseph-Straße 11.

Berta bekam durch die Heirat mit Fritz Schöpf die italienische Staatsbürgerschaft und überlebte deshalb die Shoah in München. Sie starb am 28. Mai 2003.


Text und Recherche

  • Ruth und Klaus-Peter Münch

Quellen

  • Archiv der Gedenkstätte für Opfer der »NS-Euthanasie« Bernburg

  • Archiv der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora

  • Arolsen Archives früher ITS Bad Arolsen, 5280794, 5284880, 5290701, 5373239, 6056753-6056760, 70118498, / ITS Digital Archive

  • Bayerisches Hauptstaatsarchiv, LEA (Landesentschädigungsamt) 15326, 42937, 48977 48982

  • IfZ Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, IfZ-Archiv, Fa 208, Deportationsliste Riga vom 15.11.1941

  • KulturLaden Westend, Widerstand und Verfolgung im Münchner Westend 1933-1945: Ein Stadtteilführer, Hrsg.: KulturLaden Westend, München 1997

  • Staatsarchiv München, Pol. Dir. 13457 und 7016

  • Stadtarchiv München, EMA, Gewerbeamt /Arisierung Bestellnr. 59 (Agb. 7/12 a) 

Literatur

  • Gedenkbuch für die Münchner Opfer der nationalsozialistischen »Euthanasie«-Morde, hrsg. Vom NS-Dokumentationszentrum München und dem Bezirk Oberbayern durch Michael von Cranach, Annette Eberle, Gerrit Hohendorf, Sibylle von Tiedemann, Göttingen 2018.

  • Widerstand und Verfolgung im Münchner Westend 1933-1945: Ein Stadtteilführer, Hrsg.: KulturLaden Westend, München 1997.

  • Willie Glaser, Die Deportation der in Deutschland lebenden polnischen Juden: Die Ereignisse in München im Oktober 1938, http://www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/DE_MU_JU_ostjuden.pdf aufgerufen am 07.06.2019.

 
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Walter Häbich

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