Dr. phil. Elisabeth Kohn

 

Stadtarchiv München Kennkartendoppel 1938/39

Geboren am 11. Februar 1902 in München

Deportiert am 20. November 1941 nach Kaunas

Ermordet am 25. November 1941 in Kaunas

 

Elternhaus

Elisabeth Kohn kam am 11. Februar 1902 in der Elvirastraße 3 im Stadtteil Neuhausen zur Welt. Zwei Jahre später wurde am 25. Januar 1904 ihre Schwester Marie Luise geboren. Im April 1914 verlegten ihre Eltern Olga und Heinrich Kohn, Inhaber der „Getreide- und Futtermittelgroßhandlung Otto Engl“, ihren Wohnsitz in die Loristraße 7 im Stadtteil Maxvorstadt.  

Den Elementarunterricht der ersten Schuljahre erhielt Elisabeth im ehemaligen Ilgen-Institut, einer Privatschule in der Karlstraße 45. Von September 1910 an besuchte sie die Klosterschule der Englischen Fräulein in Aschaffenburg. Über den Grund lässt sich nur spekulieren. Tatsache ist, dass in Aschaffenburg Olga Kohns verwitwete Mutter Peppi Schulhöfer lebte. 1911 war Elisabeth wieder in München und nahm am Unterricht der 4. Klasse in der Volksschule an der Alfonsstraße teil. Ab 1912 besuchte sie die Höhere Mädchenschule, das heutige Luisengymnasium. Auf dem humanistischen Gymnasialzweig legte sie 1921 ihr Abitur ab. Während Elisabeth Kohns Schwester Marie Luise ein Kunststudium anstrebte, war ihr Ziel ein Studium der Rechtswissenschaften.


Frauenstudium - ein beschwerlicher Weg

Die bayerischen Universitäten ließen erst 1903 Frauen als vollgültig Studierende zu. Angesichts der dann steigenden Zahl an Frauen in den Hörsälen fühlten sich die Universitäten wie von „Heuschreckenschwärmen überfallen“. Die Zeitschrift Simplicissimus warnte gar: „Frauen, die hier auf Erden das Doktorexamen machen, müssen dereinst in der Hölle ewig Strümpfe stopfen“. Besonders die Juristische Fakultät sträubte sich, ihre Pforten für Frauen zu öffnen. Als Elisabeth Kohn sich für ein Jurastudium entschied, hatten Frauen zwar das Recht, die Erste juristische Staatsprüfung abzulegen, durften sich jedoch weder Referendarinnen nennen, noch ließ man sie zum Vorbereitungsdienst zu. Die Zeiten änderten sich erst, als im Dezember 1920 zwölf Frauen im Reichstag eine Gesetzesänderung forderten. Langsam zeichnete sich ein Erfolg ab und im Juli 1922 ließ die Rechtsanwaltskammer die erste Rechtsanwältin an den Münchner Gerichten zu. 

Ex Libris von Elisabeth Kohn. Gefertigt von ihrer Schwester Marie Luise Kohn (Maria Luiko)

Bild: Jüdisches Museum Sammlung Maria Luiko, Inv.-Nr. JM 02.01/2007, Foto: Franz Kammer

Elisabeth Kohns Interessen gingen weit über das Jurastudium hinaus. Das zeigt ihre Auswahl der Studienfächer Philosophie, Psychologie, Pädagogik, Philologie und Kunstgeschichte. Beindruckende Erfahrungen waren vermutlich die Vorlesungen im Anatomischen Institut bei Adele Hartmann, der ersten habilitierten Ärztin Deutschlands. 

Wie schwierig für Frauen eine Promotion nach wie vor war, erlebte sie bald selbst: Als sie am 24. Juli 1924 promovierte, durfte sie dies nicht in der Juristischen Fakultät, sondern musste auf die Philosophische Fakultät ausweichen. Trotzdem dankte sie allen ihren Lehrern, „besonders aber meinem hochverehrten Lehrer Prof. Dr. E. Becher“. Erich Becher, Philosoph und Psychologe, hatte sie bei ihrer Dissertation über „Meinongs Wertlehre in ihrer Entwicklung“ betreut, in der sie sich mit den Theorien des österreichischen Philosophen und Psychologen Alexius Meinong auseinandersetzte


Rechtsanwältin Dr. Elisabeth Kohn

Im September 1927 meldete sie der Rechtsanwaltskammer, vom 15. September bis 14. März 1928 den Vorbereitungsdienst bei dem Rechtsanwalt Dr. Julius Siegel anzutreten. Weitere Hinweise über die Zeit ihres Referendariats liegen nicht vor. Im November 1928 erhielt sie vom Justizministerium ihre Zulassungen zu den Münchner Landgerichten I und II und dem Oberlandesgericht. Danach trat sie in die Kanzlei von „Dr. Hirschberg, Dr. Löwenfeld, Dr. Regensteiner“ ein. Der Schwerpunkt der Kanzlei lag auf politischen Strafprozessen, besonders Max Hirschberg und Philipp Löwenfeld standen vielfach vor Gericht Mitgliedern der NSDAP gegenüber. Mit Max Hirschberg, der sich später an sie als „meine Freundin und Kanzleigenossin Lisel“ erinnerte, arbeitete sie eng zusammen. 

Elisabeth Kohn, ca. 1930.
Vermutlich von Max Hirschberg in der Kanzlei fotografiert.
Bild: Mit freundlicher Genehmigung des Leo-Baeck-Instituts New York.

Elisabeth Kohn engagierte sich sowohl beruflich wie privat in vielfacher Hinsicht: Sie setzte sich für die Belange der SPD und des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes ein. Sie war Mitglied der Deutschen Liga für Menschenrechte und der politischen Hilfsorganisation Rote Hilfe, zeitweilig arbeitete sie bei der sozialdemokratischen Tageszeitung „Münchener Post“ mit. 1933 verboten die Nationalsozialisten sowohl die Zeitung als auch die Organisationen, für die sie sich engagiert hatte.

Schon vor der Machtübernahme waren jüdische Juristen Diffamierungen ausgesetzt. 1932 erschien in der NSDAP-Zeitschrift „Illustrierter Beobachter“ ein Artikel über die angebliche „Verjudung des Anwaltsstandes“, der beispielhaft das Namensschild der Kanzlei mit dem mittlerweile hinzugefügten Namen Elisabeth Kohn veröffentlichte – eine unverhohlene Drohung.


Machtübernahme der Nationalsozialisten

Als am 9. März 1933 die Nationalsozialisten auch in München die Macht übernahmen, überschlugen sich die Ereignisse. Am 10. März, um 4 Uhr morgens, verhaftete die Gestapo Max Hirschberg. Philipp Löwenfeld konnte in letzter Minute fliehen. Trotz eigener Zukunftssorgen kämpfte die 31-jährige Elisabeth Kohn gemeinsam mit Max Hirschbergs Frau Betty um seine Entlassung aus dem Corneliusgefängnis. Sie ging so weit, ohne das Wissen der Hirschbergs aus ihrem Privatvermögen an dessen Anwalt „einige tausend Mark“ zu übergeben, die als Bestechungsgeld „für die Nazigrößen“ dienten. Mehr als fünf Monate blieb Hirschberg inhaftiert. Ihr Geld erhielt sie umgehend zurück.  

Weil Max Hirschberg im Ersten Weltkrieg gedient und seine Kanzlei schon vor 1914 eröffnet hatte, konnte er – wenn auch eingeschränkt nur noch für jüdische Klienten – weiter seiner Arbeit nachgehen. Der jungen Anwältin Elisabeth Kohn dagegen entzog das Justizministerium im August 1933 die Zulassung. Ihr Einspruch, sie müsse ihre Schwester unterstützen und ihr Vater sei schwerkrank, nützte nichts. Sie trete vor Gericht wenig auf, vermerkte das Justizministerium und lehnte ihr Gesuch mit der zynischen Bemerkung ab, sie sei „jung und ledig“ und könne „in irgendeinem Frauenberuf unterkommen“. Elisabeth Kohn fand schließlich Arbeit in der Fürsorgeabteilung der Israelitischen Kultusgemeinde und hielt Kurse für die Zionistische Ortsgruppe zur Vorbereitung auf die Emigration nach Palästina. 

Die Verbindung zu Max Hirschberg brach auch nach seiner Flucht nach Italien im April 1934 nicht ab. Im Herbst 1934 besuchte Elisabeth Kohn die Familie Hirschberg in Besozzo in der Lombardei.

 

Nach dem Novemberpogrom 1938

Elisabeth Kohns Mutter hatte nach dem Tod ihres Mannes am 30. Oktober 1933 die Getreide- und Futtermittelhandlung allein weitergeführt. Ende 1938 musste sie den Betrieb schließen. Zehn Monate später, am 1. September 1939, musste die Familie unter Zwang in eine Wohnung in der Frundsbergstraße 8 umziehen, einem sogenannten Judenhaus.  

Frundsbergstraße 8 (Privataufnahme)

1940 konnte Elisabeth Kohn wieder in ihrem Beruf arbeiten – als „Hilfskonsulentin“ für den „Konsulent“ Dr. Julius Baer in der Weinstraße 11. Unter dieser abwertenden Bezeichnung durften jüdische Anwälte seit den Rassengesetzen 1935 nur noch für jüdische Mandanten tätig werden. Julius Baer habe die „angenehme Eigenschaft“, sich von „Nervositäten und Depressionen, die in Massen auf uns einstürmen, nicht unterkriegen“ zu lassen, berichtete sie im März 1941 an den mittlerweile in die USA emigrierten Max Hirschberg. Die Hauptaufgabe der Kanzlei war, Menschen zu helfen, die Deutschland verlassen wollten: „[…] Wir haben gerade mit Auswanderungen entsetzlich viel zu tun. Es ist so ungeheuer wichtig, möglichst viele heraus zu bringen […]“. Die emotionale Seite ihrer Arbeit machte ihr sehr zu schaffen: „[…] Man muss natürlich, noch viel mehr als früher, auf die seelische Beeinflussung der Menschen abstellen und das erfordert viel Kraft. […]“


Vergebliche Suche nach einem Ausweg

Sie selbst und ihre Schwester Marie Luise hatten die Entscheidung zur Emigration lange hinausgezögert. Sie wollten ihre Mutter, deren Chancen auf eine Emigration sehr gering waren, nicht allein zurücklassen. Vermutlich Ende 1940/Anfang 1941 bat sie Max Hirschberg um Hilfe. Sie wusste, wie schwierig die Beschaffung der Gelder für Bürgschaft und das Landegeld für Kuba war und zog realistisch in Betracht, dass dies nicht für drei Personen möglich sein könnte. „[…] Nur Ali [Marie Luise] möchte ich nicht zurücklassen […]“, schrieb sie am 20. Februar 1941. „Für sie ist das Herauskommen noch viel wichtiger als für mich, denn ich habe eine mir angemessene Arbeit und auch sonst in jeder Beziehung mehr Widerstandskraft. Wenn also nur Einer fahren kann, dann bitte, Ali. Das ist eine sehr überlegte und kühle Erwägung. […] Aber Alis ganze Arbeit ist hier aus u. sie leidet sehr darunter und hat eine viel dünnere Haut als ich, u. weniger innere Ruhe. Und durchbringen wird sie sich sicher leicht, bei der Fülle manueller Fähigkeiten, die sie hat.[…]“ 

Im Sommer 1941 musste die Familie nun auch die Wohnung in der Frundsbergstraße räumen. Zunächst teilte man ihnen ab 18. Juli eine Unterkunft in dem „Judenhaus“ Leopoldstraße 42 zu. Ende September schwand die Hoffnung auf eine Emigration. „[…] Nun wie es kommt, so muss es geschluckt werden, nun wir einmal für unsere exemplarische Dummheit, nicht mit allen Mitteln rechtzeitig weggestrebt zu haben und für unser Pech, dass uns das nicht gelungen ist, noch exemplarisch bestraft zu werden, […]“ schrieb sie am 18. September. „[…] Aber solange man meint, es stehe nicht dafür und solange man Hoffnung hat, ist es gut. An meinem Mut braucht ihr nicht zu zweifeln. Aber arg ist mir schon Vieles, vor allem tun mir jetzt meine Mutter und meine Schwester schon recht leid! […] Niemand kann ermessen, was uns noch bevorsteht. […] Und ich bin überzeugt, dass für uns das Ende nach unten noch nicht erreicht ist. […]“ 

Anfang Oktober 1941 mussten sie auch das Haus in der Leopoldstraße verlassen. Eine gemeinsame Unterbringung war zunächst nicht möglich. Elisabeth Kohn fand am 11. Oktober für wenige Tage einen Unterschlupf bei dem Oberamtsrichter a.D. Joseph Schäler in der Rauchstraße 10. In der Pension Musch in der Landwehrstraße 6 konnten die Familie dann wieder gemeinsam untergebracht werden.


Deportation nach Kaunas

Am Samstag, den 8. November 1941, erhielt Elisabeth Kohn den Deportationsbescheid mit dem Hinweis, „mit Mutter und Schwester ab Dienstag fahrbereit zu sein“. Am 10. November 1941 mussten sie sich im jüdischen Übernachtungshaus in der Wagnerstraße 3 einfinden. Am gleichen Tag, einem Montag, schrieb sie ein letztes Mal an Hirschberg: „[…]Leider scheint über allen Bemühungen für uns das ‚Zu spät‘ als Motto zu stehen. […] Was aus uns werden wird, wer kann es ahnen. Sicher ist, dass es ein dunkler Weg ist, den wir zu begehen haben. Ob ich mit Euch Verbindung halten kann, bezweifle ich sehr. […] Ich bin sehr ruhig und nehme an, was das Schicksal mir aufladen will. […] Meine Hoffnung auf ein Wiedersehen mit Euch gebe ich nicht auf. Man wird leben und wird versuchen, zu überleben. Seid alle herzlichst umarmt und geküsst. Immer Eure Lisel.“ 

Am 11. November 1941 füllte sie die geforderten Vermögenserklärungen aus. Obwohl sie vermutlich keine Hoffnung mehr hatte, gab sie an, mit ihrer Mutter und Schwester auswandern zu wollen. Kurz darauf transportierte man die Familie in das Sammellager nach Milbertshofen. 50 Kilogramm Gepäck durfte jede mitnehmen, dazu 50 Reichsmark für die „Reisekosten“. 

In New York versuchten Max Hirschberg und einige weitere Kollegen bis zuletzt verzweifelt, ihnen zu helfen. Als die Gelder für ein Visum zur Einreise in Kuba endlich zur Verfügung standen, war es zu spät. Am 23. Oktober 1941 hatte das NS-Regime ein Emigrationsverbot erlassen. 

Am 20. November 1941 verschleppte die Gestapo Olga, Elisabeth und Marie Luise Kohn und weitere 996 jüdische Münchner nach Kaunas in Litauen. Drei Tage dauerte die Fahrt, zwei Tage mussten sie in den verrotteten Gemäuern von Fort IX ausharren. Am Morgen des 25. November 1941 wurden von einem SS-Sonderkommando und litauischen Helfern in einer Mordaktion erschossen.


Dr. Julius Baer

deportierte die Gestapo am 4. April 1942 gemeinsam mit seiner Frau Julia nach Piaski, dort verlieren sich ihre Spuren.


Erinnerung an Elisabeth Kohn

Stolpersteine vor der Loristraße 7 (Foto: Privat)

Auf der im November 1998 im Justizpalast München enthüllten Gedenktafel mit den Namen der während des NS-Regimes verfolgten Juristen ist auch Elisabeth Kohn aufgeführt.

Die 2003 in der Juristischen Fakultät der Universität München angebrachte Tafel mit dem Bild und einer Kurzbiografie von Elisabeth Kohn befindet sich im Eingangsbereich am Professor-Huber-Platz 2.

Seit 2004 erinnern im Stadtteil Schwabing-West, am Ackermannbogen, die Elisabeth-Kohn-Mittelschule und die Elisabeth-Kohn-Straße an die mutige und engagierte Rechtsanwältin.

Seit 20. November 2021 erinnern Stolpersteine vor dem Haus Loristraße 7 an die Anwältin Dr. Elisabeth Kohn, Marie Luise Kohn, ihre Mutter Olga und ihren Vater Heinrich Kohn.


Text und Recherche

  • Ingrid Reuther

Quellen

  • Bayerisches Hauptstaatsarchiv, MJu 21188.

  • Staatsarchiv München, OFD 7253.

  • Stadtarchiv München, Biographisches Gedenkbuch der Münchner Juden 1933-1945; Rechtsanwaltskammer DE-1992-KOE-RAK 1036, Nachlass Schalom Ben-Chorin JUD-F-0206.

  • Kohn Elisabeth: Meinongs Wertlehre in ihrer Entwicklung, Diss. München 1924.

Literatur

  • Bußmann Hadumot (Hrsg.): Stieftöchter der Alma mater, München 1993.

  • Hirschberg Max: Jude und Demokrat, München 1998.

  • Kastner Wolfram (Hrsg): „hier wohnte…“ Projekt zur Erinnerung an jüdische Nachbarn in Neuhausen. München 2013, S. 37-42.

  • Weber Reinhard: Das Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte in Bayern. München 2006.

 
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