Anna Ansbacher, geb. Eberstadt

 

Anna Ansbacher um 1930 (Foto: Familienbesitz)

Geboren am 24. Oktober 1875 in Mannheim

Gestorben am 9. Januar 1951 in München

 

Herkunft

Anna Eberstadt entstammte väterlicherseits und im Mannesstamm einer jüdischen Familie von Kaufleuten, die mit diesem Namen seit 200 Jahren in Worms nachweisbar ist und deren erster, namentlich bekannter, Vertreter Löb Eberstatt „Zum roten Löwen“ war. Die Ehefrauen der Familie hatten häufig ihre Wurzeln von weither. Sie trugen zum Genom der Familie die sozialen und kulturellen Begabungen bei. Diese hatten, neben den für die jüdische Welt politisch günstigen Entwicklungen im 19. Jahrhundert, den entscheidenden Anteil zum märchenhaften Aufstieg einer Großfamilie zur gesellschaftlichen Elite ihrer Heimat. Die nächsten Vorfahren waren Vorsteher ihrer jüdischen Gemeinden und die Verwandtschaft war international, so dass man im Alltagsleben Englisch und Französisch sprach. Das ging, ausgelöst in der Zeit der französischen Revolution und getragen von den Gedanken Moses Mendelsohns, einher mit einem Übergang zum liberalen Judentum, der sukzessive in die Ablösung vom Judentum einmündete. Die Familie ihrer Mutter hatte ihre Wurzeln im unterfränkischen Maßbach und Acholshausen. Es waren Vieh- und Weinhändler, die im Laufe der Generationen in Richtung Rheinland wanderten und sich zuletzt von Neuwied und Mainz aus in die Neue Welt ausbreiteten.

Anna Eberstadt wurde am 24. Oktober 1875 in Mannheim geboren, in einer Zeit der wirtschaftlichen Blüte dieser Stadt. Ihr Vater August Ludwig Eberstadt (1839-1907) war noch noch im großherzoglich hessischen Worms geboren. Sein Vater, der Kleidergroßhändler und Revolutionär von 1848 sowie Bürgermeister von Worms, Ferdinand (Falk) Eberstadt (1808-1888) war nach seinem politischen Scheitern in das badische liberale Mannheim umgesiedelt, wo er fortan seinen Geschäften nachging. Seine Frau Sara Zelie, geborene Seligmann aus Kreuznach (1816-1885), gebar ihrem Mann 10 Kinder und widmete sich vornehmlich der (überaus erfolgreichen) Heiratspolitik zu Gunsten ihrer Töchter (also Anna’s Tanten). Außerdem kümmerte sie sich um die berufliche Ausbildung der Söhne, die von ihren verwandtschaftlichen Verbindungen zu den Familien Bamberger in Mainz, Bischoffsheim in Brüssel sowie Rothschild in Paris profitierten.

Anna Eberstadts Eltern August Ludwig und Hermine, geborene Masbach, heirateten 1873 in Mainz und hatten zwei Kinder: Anna Elisabeth, geboren 1875 und Paul Eduard (geboren 1878 in Mannheim, gestorben 1978 Caracas; von ihm soll hier nur am Rande die Rede sein). Man lebte zunächst zur Miete in Mannheim O3.1 und später im eigenen Wohnhaus D7.2 und führte, im Gegensatz zu den Tanten und Onkels Eberstadt, ein zurückhaltendes und beschauliches Leben. Vater August betrieb die mäßig erfolgreiche Mannheimer Firma des Großvaters Ferdinand weiter, bevor sie 1898 verkauft wurde. Unter leicht verändertem Namen existierte sie bis 1934.


Anna Eberstadt als Debütantin - um 1893 (Bild: Familiebesitz)

Anna Eberstadt besuchte das großherzogliche Lyzeum. Von ihr ist eine großformatige Fotografie im Alter von etwa 18 Jahren erhalten, die sie als Debütantin zeigt und die ihre auffällige Schönheit dokumentiert. Sie nahm auch Gesangsunterricht und muss eine schöne Mezzo-Sopran-Stimme besessen haben.

​In den Forschungen der Frau Dr. Leux (Berlin), welche in den frühen dreißiger Jahren über die Musikalität in den Mannheimer Familien Eberstadt/Kahn forschte, sind Beiträge von Anna Ansbacher erhalten, die sie Frau Leux zur Verfügung gestellt hatte. Demzufolge war Anna ein Sprachtalent (konnte auch Dialekte gut imitieren), war musikalisch und tanzte gut. Ihr großer Wunsch war es, Mathematik zu studieren. Paul Eberstadts Lehrer in Mannheim, Professor an der Universität Heidelberg, den sie gebeten hatte, sie zu unterrichten, gab ihr zur Antwort: “Schneegänse unterrichtet man nicht” – Die Zeit war damals noch nicht reif für das Frauenstudium.

Heirat und Leben in München

Am 30. August 1902 heiratete sie in Mannheim den Münchner Juristen Alexander Ansbacher. Ihr Mann war zu diesem Zeitpunkt bereits Richter am Landgericht I in München. Nach der Trauung lebte das Paar in der Heßstraße 8 in München. Bis zur Kündigung der Wohnung im September 1940 sollte dies ihr Zuhause bleiben.

Ansbacher machte Karriere in der Bayerischen Justiz und war zum Zeitpunkt seiner Pensionierung einer der ranghöchsten Richter in Bayern. Aus der noch erhaltenen Personalakte lässt sich der tadellose berufliche Werdegang nachvollziehen.

Die beiden hatten keine Kinder. Dafür lebte ihre Mutter, Hermine Eberstadt, mit im Haushalt. Diese war nach dem Tod ihres Mannes, August Eberstadt, am 1. Oktober 1909 von Mannheim nach München gezogen. Zum Leben von Anna Ansbacher in dieser Zeit ist nur wenig überliefert.

Hauspflegeverein

Aus alten Tageszeitungen wissen wir, dass sie sich gesellschaftlich engagierte. Über einen langen Zeitraum (von 1913 bis 1930) sind Zeitungsartikel zu finden, in denen sie als Mitglied des Vorstands im Hauspflegeverein das Amt der Kassiererin bzw. Schatzmeisterin inneauf eighatte. Der Hauspflegeverein München war 1904 gegründet worden und hatte den Zweck “minderbemittelten Familien Hilfe zur Aufrechterhaltung des Hausstandes während solcher Zeiträume zu gewähren, in welchen die Hausfrau vorübergehend, insbesondere durch Wochenbett, Krankheit und deren Folgen außer Stande ist, dem Hauswesen selbst vorzustehen.” Der Verein agierte überkonfessionell. Mit einem solchen Ehrenamt war sicherlich ein zeitlich umfangreiches Engagement verbunden. Mitglieder mussten gefunden, Sponsoren, Spender und öffentliche Unterstützer geworben werden und auf der anderen Seite musste die Bezahlung der hauswirtschaftlichen Kräfte / Pflegerinnen gewährleistet sein. Zur Finanzierung wurden Wohltätigkeitsveranstaltungen oder Lotterien veranstaltet.

In dieser Tätigkeit wird sie viel über die Not sozial schwacher Familien erfahren haben. Vielleicht haben sie diese Erfahrungen und Umstände in ihrem Wesen beeinflusst. Anna muss als Tante streng gewesen sein, so dass die Nichten Eberstadt es eher vorzogen, nicht zu viel mit ihr zu tun zu haben. Vielleicht lag es auch daran, dass sie im Alter etwas wunderlich wurde. Mit Sicherheit war sie eine hochgebildete Frau mit einem stark ausgeprägten Sozialbewusstsein und mit der Fähigkeit, innige Freundschaften zu schließen, was ihr in späteren Jahren sehr geholfen hat.

Zeit im Nationalsozialismus

Ihr Mann, Alexander Ansbacher, hatte von 1894 bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand 39 tadelsfreie Dienstjahre hinter sich. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde er zum 1. April 1933, auf Grundlage des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, zwangsweise beurlaubt. Er konnte noch einmal am 12. April zurückkehren, jedoch bereits am 1. Juni 1933 wurde er auf eigenen Wunsch in den dauerhaften Ruhestand versetzt. Das eigentliche Ruhealter für Richter hatte er da noch nicht erreicht. Es ist anzunehmen, dass er gerne 1934 sein 40-jähriges Dienstjubiläum gefeiert hätte. Sein Vorgesetzter hatte angeregt, ihm “Dank und Anerkennung für seine langjährige vorbildliche Dienstleistung auszusprechen”, was man ihm aber verweigerte.

Er lebte nicht mehr lange, zu tief war die seelische Verletzung. Alexander Ansbacher starb nur zwei Jahre später, mit 70 Jahren, am 18. Dezember 1936.

Anna Ansbacher lebte fortan alleine mit ihrer Mutter Hermine Eberstadt in der Heßstrasse 8.

Im Frühjahr 1939 hatte sie, wie alle deutschen Juden, Schmuck und andere Wertgegenstände aus Edelmetall abliefern müssen. Fein säuberlich wurde jedes Silberlöffelchen und -gäbelchen erfasst. Die Liste lässt noch heute erahnen, dass sich der Wert der Gold- und Silberwaren nicht mit der Waage erfassen ließ. Unter den Schmuckstücken waren auch vier Buchstaben, A N N A. Zu welcher Gelegenheit mag sie diesen Liebesbeweis geschenkt bekommen haben? Man raubte nicht nur Edelmetall, sondern auch wertvolle Erinnerungen.

Freunde der Familie

Freunde der Familie waren z. B. Dr. jur. Jakob Geißmar (1868-1943, gestorben in Theresienstadt), Landgerichtsdirektor in Heidelberg, und seine Frau Elisabeth, geb. Hirsch (1880 - 1944, gestorben in Auschwitz). Tante Bertha Eberstadt hatte in die Familie Hirsch aus Mannheim eingeheiratet und dadurch hatte man sich kennengelernt. Jakob und Elisabeth Geißmar zogen nach 1933 nach München und wurden gemeinsam mit Anna Ansbacher und Hermine Eberstadt nach Theresienstadt deportiert. Walter Eberstadt berichtete dies nach seinem Abschied von seiner Oma und Tante an die Familienfreundin Else Hamburger in der Schweiz. Sie hielt als Postillon der Familie den Briefverkehr mit Caracas aufrecht, solange Europa sich im Krieg befand.

Außerdem war da die enge Freundin Dr. med. Johanna Geißmar (1877-1942, gestorben in Auschwitz, Schwester von Jakob Geißmar), von der auch in Alfred Neumeyers Biografie auf Seite 215 berichtet wird:

Die Atmosphäre war so weit beruhigt, dass wir den Sommer (1940) mit unserer Freundin Anna Ansbacher und ihrer hochbetagten Mutter, Frau Eberstadt, in Saig oberhalb Titisee bei Fräulein Dr. Geißmar, vormals Kinderärztin in Heidelberg, zubringen konnten. Sie führte dort, außerhalb des Ortes, eine reizend gelegene Pension. Mein Schwager Hugo Lebrecht schloss sich uns an. Wir verbrachten einen erholsamen Sommer, frei von jeder Belästigung."

Mit großem Fleiß pflegte Anna Ansbacher die Kontakte in der Familie und war besonders mit den verwandten Lenels befreundet. Richard Lenel war bis 1933 in Mannheim Handelskammerpräsident und 1938 in die USA geflohen. 1950 kehrte er mit seiner Frau nach Neckargemünd, in das von seinem Vater gegründete “Viktor-Lenel-Stift”, zurück. Er war glücklich wieder in der Heimat zu sein, starb jedoch schon ein Jahr später. Sein Onkel Otto Lenel, der Rechtswissenschaftler in Freiburg war, hatte Luise Eberstadt aus Frankfurt geheiratet. Deren Tochter Bertha war nach Gurs verschleppt worden, wie auch Anna Ansbachers Kusinen Lala Eberstadt und Marie Eberstadt-Odenheimer aus Heidelberg und Mannheim.

Diese familiäre und die heimatliche Bindung führten zu einer engen und tiefen Freundschaft Annas und Pauls zu Richard Lenel und seiner Frau Milly, geborene Maas. Man pflegte auch während und nach der Emigration den brieflichen Kontakt. Anna schrieb an ihren Bruder Paul am 25. Juli 1949, als es wegen gesundheitlicher Probleme fraglich war, ob Richard Lenel nach Deutschland zurückkehren würde: “Du hast recht, ihn zu verlieren, wäre sehr bitter; er ist der letzte unseres Kreises und solche Treue gibt's selten.

“Umsiedlung” in das Ghetto Theresienstadt

Im September 1940 wurden Anna Ansbacher und ihre Mutter Hermine aus ihrer Wohnung in der Münchener Heßstraße 8/I herausgekündigt. Sie wurden in ein konfessionell (= jüdisch) geführtes Heim in der Romanstraße 68 eingewiesen und verloren ihre gesamte Habe. Die räumlichen Verhältnisse waren primitiv und beengt, die Verpflegung mangelhaft (Walter E. an seine Eltern am 8. Oktober 1941). Aber das war alles noch nichts gegen das, was die beiden noch erwartete.

In München waren im Herbst 1941 die sogenannten Wohnanlagen “Judensiedlung Milbertshofen” und “Heimanlage für Juden Berg am Laim” geschaffen worden, in denen die Münchner Juden nach erfolgter “Entmietung” konzentriert wurden, bevor sie deportiert werden sollten. Es herrschte eine drangvolle Enge. Aller Intimität beraubt, war ein menschenwürdiges Leben unter diesen Umständen nicht mehr möglich.

Nach Milbertshofen wurden Anna Ansbacher und ihre Mutter Anfang März 1942 “umgesiedelt”. Anna Ansbacher übernahm Pflichten in der Verwaltung und ging ganz in dieser Aufgabe auf. Am 23. Juni 1942 wurde sie, zusammen mit ihrer Mutter, in das Altersghetto Theresienstadt deportiert. Ihr Neffe Walter erlebte die letzten Stunden während der Verladung, von außerhalb des Bereichs, mit und merkte an, dass Anna Ansbacher vor lauter Verpflichtungen und Helfen-Müssen nicht dazu kam, an sich selber zu denken, was sicher auch ganz gut für sie gewesen sei. In Theresienstadt, einer Garnisonsstadt, 60 km von Prag entfernt, die von den Nazis von ihren Bewohnern geräumt worden war, musste sie noch im gleichen Jahr den Tod ihrer Mutter erleben.

Walter versuchte, sie und die Großmutter in “Terezin” zu besuchen, wurde aber natürlich nicht vorgelassen... (Tagebuch WE).

In einem Brief vom Mai 1945 berichtete Anna Ansbacher von den Zuständen in Theresienstadt: “Wir trafen dort alles noch sehr im Urzustand an und machten sehr viel durch, denn das Leben auf dem nackten Boden, den die karge Schicht Holzwolle bedeckte, war nicht schön.” Sie berichtete weiter von ungenügender Unterbringung, Unterernährung und der “Lagerkrankheit” Enteritis, einer Darmkrankheit, die bei älteren und geschwächten Personen mit ungenügender Fürsorge tödlich verlaufen kann. Nach ihrem Bericht sind täglich 100 bis 130 Menschen daran gestorben.

Wie das Schicksal so spielt, war Anna Ansbacher in Theresienstadt mit Grete, der Mutter von Ida Nicklas und dem Mann ihrer Nichte Auguste Eberstadt (die in Venezuela lebte), zusammengetroffen, welche 1944 von Österreich auch nach dort deportiert worden war. Der Kontakt war allerdings nicht sehr eng. Anna beklagte später, dass Frau Nicklas eine von den “Prominenten” gewesen sei, wohl wegen ihrer “arischen” Schwiegersöhne, und sich wenig um sie gekümmert habe, als sie für lange Zeit im Hospital lag. (In den im Jahr 2008 im Internet veröffentlichten Listen der “Prominenten” war Grete Nicklas nicht verzeichnet). In einer der wenigen an Walter Eberstadt gesendeten Postkarten berichtete Anna Ansbacher über eine gebrochene Kniescheibe. Mit dem sie behandelnden Arzt Dr. Hadda, der nach USA auswandern konnte, hielten Anna Ansbacher und auch Walter Eberstadt nach dem Krieg weiter Kontakt.

Von Anna Ansbachers “Aufenthalt” in Theresienstadt sind außerdem zwei Postkarten erhalten, die sie an Ida Nicklas in Kitzbühel, geschickt hat. Vorgedruckt der Haupttext (meist als Dankeschön für eine Sendung), spärlich die Zusatznachrichten. Man erfährt ihre Adresse: Badhausgasse 12.

Theresienstadt, am 25.4. .....1944

Liebe Ida

Ich bestätige dankend den Empfang Ihres (Deines) Paketes vom .... 5.4. .....1944 dessen Inhalt sehr willkommen + verwendbar ist.

Es geht mir erträglich. Grüsse Dir + Grete von I. dankbaren Anna

Unterschrift.

Überleben in der Hölle - Der Transport von Theresienstadt in die Schweiz

Anna Ansbacher hatte den Mut und das Glück, sich den 1.200 Gefangenen anzuschließen, die im Januar 1945 auf Betreiben des Internationalen Roten Kreuzes im Rahmen der “Aktion Musy” (Schweizer Bundespräsident) mit dem ersten Transport in die Schweiz ausreisen durften. Mut gehörte dazu, denn wie man in der einschlägigen Literatur nachlesen kann, waren die Juden Theresienstadts natürlich misstrauisch, welche Schweinerei sich die Nazis da nun wieder ausgedacht hatten. Geplant war, im Auftrag von amerikanisch jüdischen Vereinigungen, alle Theresienstädter herauszukaufen. Für den Deal wurden vom internationalen Roten Kreuz fünf Millionen Schweizer Franken auf ein Schweizer Treuhandkonto des Reiches einbezahlt. Ursprünglich verlangte Himmler von Musy, dass die Freigelassenen zu Fuß in die Schweiz laufen sollten, wobei Kaltenbrunner großzügig die Zahl der Ankommenden mit 60 % einschätzte. Darauf konnte Musy sich nicht einlassen. Man einigte sich auf einen Bahntransport, unter der Bedingung, dass die Wachmannschaften des Konzentrationslagers bei der Übernahme der Juden nicht durch alliierte Truppen erschossen würden. Dies wurde zugesagt. Als Hitler mitbekam, was der “Reichsführer SS”, Himmler, hinter seinem Rücken angezettelt hatte, unterband er sofort weitere Transporte.

Am 3. März 1945 meldete sich Anna Ansbacher aus Montreux mit einer Karte bei Ida Nicklas: “...Ich bin seit etwa drei Wochen hier am herrlichen See + erhole mich mit Freunden von vielem, das die letzte Zeit gebracht hatte... Vor meiner sehr schnellen Abreise - der Entschluss wurde 24 Std. vor derselben gefasst - konnte ich...”. Da Post aus dem Ausland von den Behörden mitgelesen wurde, konnte sie hier nur verklausuliert formulieren, was sich ereignet hatte.

Nach der Entlassung aus Theresienstadt wog sie noch 36 kg.

Am 7. März 1947 berichtet sie der Nichte Gertrude E. aus Clarens, Mirabeau, nach Caracas: “... Jeder trägt hier ein Schicksal mit sich herum. Am schlimmsten sind die alten Mütterchen dran, welche noch immer hoffen, von verschollenen Kindern und Enkeln zu hören und die man nicht trösten kann, wenn keine Nachrichten kommen. Manche der Alten aber fahren mit viel Mut in die Ferne zu ihren Angehörigen. Demnächst fliegt eine Dame von Ende 70, die halb gelähmt ist, nach Australien, ohne ein Wort Englisch zu können, zu ihrem Sohn. Vor kurzem fuhr eine nach Peru. Überall in der Welt finden sich die Theresienstädter zusammen. Die, welche gar kein Ziel haben, hoffen hier bleiben zu können, doch scheint das Gesetz, das darüber bestimmen sollte, leider nicht zur Tat zu werden. Es hat die nötige Mehrheit wohl nicht gefunden und so ist weiter alles in der Schwebe....

Sie konnte sich innerhalb der Schweiz nur mühsam mit Genehmigungen bewegen, nutzte dies aber weidlich aus und traf sich jährlich mit ihrer Nichte Cecilie Mack, geb. Ansbacher, die in den USA lebte, an den verschiedensten Orten der Schweiz. Ihr Bruder Paul steuerte in ihrer Schweizer Zeit, zwischen 1945 und 1950, einen Teil zu ihrem Lebensunterhalt bei. Sie erhielt ab 1947 250 sfr Flüchtlingsrente und konnte sich ein wenig durch Haushaltsarbeit und durch verkaufte Strickwaren hinzuverdienen, dazu bekam sie eine monatliche Zahlung von 25 $ durch ihre Nichte Cecilie. Der Grund für ihre Not war, dass ihr vom Deutschen Reich die Rente ihres Mannes abgesprochen worden war, und sie als vom Staat ausgebürgerte Deutsche auch kein Anrecht mehr darauf haben sollte. Später, als ihre Berechtigung anerkannt wurde, durfte das Geld nicht ins Ausland transferiert werden und verblieb auf einem Sonderkonto. Es handelte sich um 40.000 Reichsmark, was damals eine enorme Summe war. Erst ganz zum Schluss, nach der Währungsreform und dem Umzug nach Deutschland, kam sie in den Genuss einer kleinen Rente.

Sie korrespondierte mit den Kusinen Lala Eberstadt und Marie Odenheimer in Le Puy und mit Tante Emma Hecht, geborene Eberstadt in New York, außerdem recht häufig mit Kusine Katie Lewis, mit Hanne Maas und mit der Verwandtschaft ihrer Schwägerin, den Ampts und den Rupps in Freiburg. Und natürlich mit den Lenels, dazu noch mit ungezählten Freunden und Freundinnen. Sie empfing Besuch von Bertha Lenel, auch Otto Eberstadt aus England schaute bei ihr vorbei. Recht eng war der briefliche Kontakt mit Walter Eberstadt in Erlangen, dem sie als Briefträgerin nach und von Caracas diente.

Am bemerkenswertesten ist der noch erhaltene Briefwechsel mit ihrem Bruder Paul in Venezuela von 1947 bis 1950. In diesen rund 170 Briefen breiten die Geschwister ihr Leben voreinander aus, sparen nicht mit gegenseitiger Kritik, aber auch nicht mit guten Ratschlägen. Während sie das Hauptgewicht auf familiäre Nachrichten legt und nur nebenbei mal über sich und ihr jämmerliches Leben klagt, schreibt er mit Vorliebe von Geschäften und über die vielfältigen Krankheiten in seiner Familie. Geradezu zum Lachen ist sein ständiges Gejammere über das Geld und die schlechten Geschäfte. Dabei muss er die ganzen Jahre gut verdient haben, baute er doch ständig an seinem Haus herum, kaufte sich einen amerikanischen Straßenkreuzer und unterstützte alle möglichen Familienangehörigen und -freunde. Für seine Tochter Gustel streckte er 110.000 Bolivar (ca. 160.000 Mark) für den Hausbau vor, wofür er das erste Mal in seinem Leben einen (zinslosen) Kredit bei seinem Arbeitgeber aufgenommen hatte, den er bereits nach zwei Jahren abbezahlt hatte. Außerdem konnte er sich und anderen Urlaubsfahrten finanzieren. Alles in allem also ein etwas unglaubwürdiges Gehabe, aber eines Handelsmanns würdig, und Zeichen seines Genies, sich aus dem Nichts wieder eine respektable Existenz geschaffen zu haben. Der gesamte Briefwechsel ist ein einzigartiges Dokument geschwisterlicher Liebe auf hunderten von eng, meist mit Maschine geschriebenen Seiten.

​Im Sommer 1949 durfte Anna Ansbacher das erste Mal nach dem Krieg Deutschland besuchen. Sie begann die Rundreise in Freiburg, wo die Verwandten von Pauls Ehefrau Magdalene, geborene Ampt, lebten. Bei Lenels in Neckargemünd verbrachte sie ab dem 1. August “einige selige Tage” und wurde freudigst begrüßt, von Freunden, Bekannten und Unbekannten: “Sind Sie das Annele Eberstadt, das auch mit am Stift schuld ist?” Am 3. August machte sie dabei einen Abstecher nach Mannheim zu den Gräbern ihrer Vorfahren. Zum Schluss reiste sie nach München und berichtete entsetzt über die Zustände in dieser Stadt. Sie sei nicht mehr wiederzuerkennen und man würde sich ständig verirren, da es kaum noch Festpunkte gebe, die an früher erinnerten.

Hauptgrund für diese Reise war der Kontakt zu ihrem Rechtsanwalt Spangenberg zur Durchsetzung ihrer Pensionsansprüche, des seit 1947 dauernden Rechtsstreits um das Testament ihrer Mutter und die Wiedergutmachung des Schadens durch die Enteignungen. Den Abschluss der Verhandlungen erlebte sie nicht mehr. Die Pensionszahlung wurde ihr als “Oberstlandesgerichtsratswitwe” für den Zeitpunkt ihres Zuzuges nach Deutschland zugesagt (425 Mark). Nach unendlichen Kämpfen mit sich selbst und gegen die Widerstände vieler Freunde, die ihr dringend abrieten, brach sie am 31. August 1950 ihre Zelte in der Schweiz ab und erreichte nach einem einwöchigen Aufenthalt in Freiburg am 8. September 1950 Neckargemünd, um in das Haus ihrer alten Freundin Marie Zentmaier neben dem Viktor-Lenel-Stift zu ziehen. Dort erkrankte sie Anfang Oktober 1950 schwer und erholte sich nicht mehr. Gepflegt wurde sie von Richard Lenels Witwe Milly und ihrer Freundin Marie.

Offensichtlich hatten die Entbehrungen und seelischen Anspannungen der zurückliegenden Jahre ihren Tribut gefordert und sie war nur noch nach Hause gekehrt, um dort zu sterben, ähnlich wie ihr angebeteter Freund Richard Lenel. Man brachte sie noch nach München, wo sie in der Biedersteiner Straße 25, vermutlich in einer Pflegestation des dort gelegenen Krankenhauses, starb.

Anna Ansbacher wurde auf dem Friedhof an der Thalkirchner Straße beerdigt, wo auch ihr Mann Alexander Ansbacher beigesetzt ist.


Text und Recherche

  • Christof Eberstadt

Quellen

  • Eberstadt Christof, Biografische Notizen zu Alexander Ansbacher und seiner Ehefrau Anna Eberstadt, Erlangen, 2024.

  • Stadtarchiv München, Bestand Zeitgeschichtliche Sammlung ZS-539-3.

  • Stadtarchiv München, Bestand Leihamt / Wiedergutmachung Nr. 6.

  • Stadtarchiv München, Judaica-Varia Nr. 0014.

Internet

Buch

  • Neumeyer, Alfred, “Wir wollen den Fluch in Segen verwandeln” : drei Generationen der jüdischen Familie Neumeyer: eine autobiografische Trilogie, Metropol-Verlag, Berlin, 2007.

  • Adler, Hans-Günther, “Theresienstadt 1941-1945 - Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft”, Wallstein Verlag , 2018.

 
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Carry Brachvogel