Wolfgang Hönigstein
Geboren am 18. September 1909 in Berlin
Deportiert am 22. Dezember 1942 nach Theresienstadt
Ermordet nach dem 18. Dezember 1943 in Auschwitz
Herkunft
Wolfgang Heinz Hönigstein wurde am 18. September 1909 in Berlin-Treptow geboren. Seine aus Prag stammenden Eltern, der Kaufmann Emil Hönigstein und die Hausfrau Julia Hönigstein, geb. Stein, waren erst kurz zuvor nach Berlin gezogen, wo sie eine Wohnung in der Graetzstraße 7 (heute Karl-Klinger-Straße) im südöstlichen Stadtteil Treptow bezogen hatten.
Der Straßenzug und das Wohnhaus sind auch heute noch als einfaches Arbeiterviertel zu erkennen. Berlin sollte für die Familie wohl nur die erste Station ihres sozialen Aufstiegs im Deutschen Reich darstellen.
Ab 1914 waren Emil Hönigstein und seine Familie in Wiesbaden, im gerade erst entstandenen sogenannten Dichterviertel, in der Kleiststraße 11 gemeldet. Hier kam am 3. Mai 1915 der zweite Sohn Herbert Günther Hönigstein zur Welt. Doch auch in Wiesbaden blieb die Familie nicht lange.
Es folgten Stationen in Füssen sowie in Neumarkt in der Oberpfalz, bevor Emil Hönigstein mit seiner Frau und den beiden Kindern nach München weiterzog, wo sie zunächst 1920 in der Pension Schönblick in der Ottostraße 3b gemeldet waren.
Schulzeit in München
Zeitgleich mit dem Beginn der Gymnasialschulzeit von Wolfgang Hönigstein bezog seine Familie ihre erste eigene Wohnung in München, in der Widenmayerstraße 11, einem Teil des in der Prinzregentenzeit neu errichteten Isarprospekts.
Seit Beginn des Schuljahres 1921/22 besuchte Wolfgang Hönigstein das später im Zweiten Weltkrieg zerstörte Luitpold Gymnasium in der Müllerstraße 7. Er war dort einer von vier jüdischen Jungen in seiner Klasse, von denen drei den Holocaust überleben sollten: Oskar Gröbel emigrierte im April 1939 in die USA und lebte als Zahnarzt in Las Vegas, Hugo Droller wanderte 1933 nach Großbritannien aus und wurde dort ein Pionier der kindermedizinischen Versorgung und Tim Nachum Gidal emigrierte 1936 nach Palästina und gilt heute als ein Wegbereiter des modernen Fotojournalismus.
Vor Beginn des zweiten Gymnasialjahres zog die Familie Hönigstein ein weiteres Mal um, in die Baaderstraße 5. Für Wolfgang Hönigstein dürfte das bedeutet haben, dass er nun noch engere Bande mit seinen jüdischen Klassenkameraden knüpfen konnte, die ebenfalls im Gärtnerplatzviertel wohnten. Dafür spricht, dass Wolfgang Hönigstein seit dieser Zeit Mitglied in zwei jüdischen Jugendvereinen war, im Bund jüdischer Pfadfinder und im Sportverein Bar-Kochba, dem auch Tim Nachum Gidal angehörte.
Vor allem Bar-Kochba war im München der 1920er Jahre, in dem sich nach der Niederschlagung der Räterepublik ein immer aggressiverer Antisemitismus breitmachte, ein Auffangbecken für junge Juden, wo sie sich sportlich – aber auch für mögliche physische Angriffe – stärken konnten und gleichzeitig das Gedankengut des Zionismus kennenlernten.
Schwierigkeiten in der Familie?
Während seine jüdischen Klassenkameraden bereits zum Ende der Gymnasialzeit starke berufliche Ambitionen erkennen ließen – Tim Nachum Gidal und auch Oskar Gröbel für Fotografie, Hugo Droller begann schnell sein Medizinstudium –, wirkte Wolfgang Hönigsteins Lebensweg eher sprunghaft.
Das könnte daran gelegen haben, dass ab 1926 offenbar ernsthafte Probleme in der Familie Hönigstein auftauchten: Der erst elfjährige Günther Hönigstein wurde ab 1926 in der Antonienstraße 7 gemeldet, der Adresse des Kinderheims der Israelitischen Jugendhilfe.
Die Mutter hatte nun ebenfalls einen eigenen Wohnsitz, zunächst in der Albanistraße in der Au. Wolfgang Hönigstein blieb weiterhin an der Wohnadresse des Vaters gemeldet, zunächst 1926 in der Isabellastraße 26, dann ab Anfang 1927 in der Giselastraße 25.
Kurz nach seinem 18. Geburtstag – aber noch vor der Beendigung des Gymnasiums Mitte 1928 – stellte Wolfgang Hönigstein Ende 1927 einen Antrag auf eine eigene Wohnung und zog schließlich im Dezember des gleichen Jahres in der Beethovenstraße 12 zur Untermiete ein.
Rastlose Jahre in München
Nach dem Ende der Gymnasialzeit trat Wolfgang Hönigstein 1928 eine Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter in der Kurzwarengroßhandlung „H. u. J. Gutmann“ in der Schwanthalerstraße 31 an, die von den jüdischen Brüdern Heinrich und Jacob Gutmann geleitet wurde. In dem Handelsunternehmen arbeitete Wolfgang Hönigstein bis 1932.
Während dieser Zeit wechselte er wiederholt den Wohnsitz. Zur Untermiete wohnte er 1928 erst in der Goethestraße 51 und dann Am Glockenbach 2 (bei Anna Perlesz, der Witwe des Herrenbekleidungshändlers Joseph Perlesz). Ende 1928 zog er für einige Monate in das Lehrlingsheim der Israelitischen Kultusgemeinde in der Wagnerstraße 3 und im Frühjahr 1929 schließlich in das Ledigenheim in der Bergmannstraße 35, wo er bis Ende 1932 blieb.
Nicht selten ist eine solche unstete Wohnsituation ein Indiz für ein politisches Engagement oder ähnliche in der damaligen Zeit verfängliche Aktivitäten. Aus den vorliegenden Quellen zu Wolfgang Hönigstein lässt sich derartiges allerdings nicht bestätigen.
Auch in der Zeit nach dem Schulabschluss blieb im Leben von Wolfgang Hönigstein seine Mitgliedschaft im zionistischen Sportverein Bar-Kochba eine Kontinuität: 1929 wurde er dort zum Kassenwart gewählt.
1930 starb überraschend, mit nur 50 Jahren, Wolfgang Hönigsteins Vater Emil Hönigstein. Die Todesurkunde hält fest, dass er zu dieser Zeit in der Pestalozzistraße 2 wohnhaft war und in der Universitätsklinik in der Nußbaumstraße an einer asthmatisch-bronchialen Lungenentzündung verstarb.
Im Frühjahr 1932 endete Wolfgang Hönigsteins Tätigkeit für „H. u. J. Gutmann“ und er musste sich für einige Monate arbeitslos melden.
Ein kurzer Neuanfang
Im August 1932 erhielt Wolfgang Hönigstein eine neue Stelle als kaufmännischer Angestellter bei der von einer jüdischen Unternehmerfamilie geführten Zigaretten- und Tabakfabrik Abeles in der Plinganserstraße 42.
Mit seinem Lohn von 120 Reichsmark konnte er das Ledigenheim verlassen und im November 1932 als Untermieter in der Dienstwohnung von Josef Ziegltrum einziehen, der Lagerhalter der Feinmechanik-Firma „T. Ertel & Sohn“ in der Westendstraße 160 war. Das Münchner Ertel-Werk war übrigens ab 1941 einer der Produktionsorte der NS-Verschlüsselungsmaschine „Enigma“.
Mit der neuen Arbeit und der neuen Wohnung im Rücken startete Wolfgang Hönigstein außerdem einige Initiativen: Anfang 1933 beantragte er als tschechischer Staatsangehöriger einen Befreiungsschein, den nicht-deutsche Arbeitnehmer im Deutschen Reich damals benötigten, um eine Beschäftigung auszuüben. Und Ende August legte er in einer Fahrschule in der Pfeuferstraße 8 die Führerscheinprüfung für Krafträder ab.
Während Wolfgang Hönigstein so eine Art Neuanfang startete, verschärfte sich nach der nationalsozialistischen Machtergreifung am 30. Januar 1933 das politische Klima im Deutschen Reich rapide: Nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 wurden Grundrechte außer Kraft gesetzt, am 24. März das Ermächtigungsgesetz beschlossen und Anfang April der Boykott von Juden auch auf den Handel ausgeweitet. Für den durch Bar-Kochba politisierten Wolfgang Hönigstein war wohl bald klar, dass Deutschland ihm keine Zukunft mehr bot.
Emigration nach Prag
Am 19. September 1933 emigrierte der 24-jährige Wolfgang Hönigstein nach Prag. Die Wahl seines Auswanderungsziels mag zunächst überraschen, doch lebten mehrere seiner Onkel und Tanten in Prag und in der tschechischen Hauptstadt war der Einfluss der 1933 gegründeten nationalsozialistischen sudetendeutschen Heimatfront noch recht beschränkt.
Es scheint so, als ob Wolfgang Hönigstein in Prag zunächst gute Jahre verlebte. Er fand dort Arbeit als Übersetzer bei der Filmproduktionsfirma Slavia Film, die 1933 gerade den Skandalfilm „Ekstase“ mit Hedy Lamarr veröffentlicht hatte und die noch bis 1941 eine Reihe auch international erfolgreicher Produktionen auf den Markt brachte.
In Wolfgang Hönigsteins Jahre in Prag fiel auch die Emigration seines Bruders Herbert. Er wanderte im März 1936 nach Palästina aus.
Ende 1939 erreichte Wolfgang Hönigstein eine traurige Nachricht aus München: Seine Mutter Julia Hönigstein starb dort am 28. Dezember 1939 in der Israelitischen Privatklinik in der Hermann-Schmid-Straße 5 an einer Herzmuskel- und Lungenentzündung im Alter von 55 Jahren. Sie wurde auf dem Neuen Israelitischen Friedhof beerdigt.
Etwa in dieser Zeit lernte Wolfgang Hönigstein in Prag seine spätere Frau Margarethe kennen. Margarethe Abeles Althoff wurde am 26. August 1906 in Wien geboren und war ebenfalls nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ nach Prag gekommen.
Gescheiterte Flucht und Deportation
Nach dem Münchner Abkommen 1938 und der Besetzung der „Rest-Tschechei“ durch die deutsche Wehrmacht war Prag für Juden ebenfalls nicht mehr sicher.
Um dem nationalsozialistischen Regime zu entkommen, planten Wolfgang Hönigstein und Margarethe Abeles Althoff Anfang 1940 die Emigration nach Peru und holten dafür notwendige Leumundszeugnisse ein. Doch zu der Flucht nach Südamerika kam es nicht.
Im Juli 1941 bezog das seit dem 22. Juni verheiratete Paar Wolfgang und Margarethe Hönigstein in Prag eine neue Wohnung. Zur gleichen Zeiten wurde Reinhard Heydrich, einer der Architekten der „Endlösung“, Reichsprotektor von Böhmen und Mähren und ließ im Oktober 1941 als Deportationsziel für die tschechischen Jüdinnen und Juden das Ghetto Theresienstadt eröffnen.
Am 12. September 1942 wurde zunächst Margarethe Hönigstein nach Theresienstadt deportiert, am 22. Dezember dann auch Wolfgang Hönigstein. Beide wurden schließlich am 18. Dezember 1943 weiter nach Auschwitz deportiert, wo sie ermordet wurden.
Schicksal naher Angehöriger
Herbert Hönigstein, der inzwischen in Israel lebte, versuchte wiederholt, Informationen über das Schicksal seines Bruders zu bekommen. 1959 startete er diesbezüglich über den Münchner Rechtsanwalt Otto Betz eine Korrespondenz mit der Landesentschädigungsanstalt. 1980 wandte er sich, diesmal über den Nürnberger Rechtsanwalt Wolfgang Schwiering an den Internationalen Suchdienst in Arolsen. 1996 meldete er schließlich, nun unter dem Namen Herbert Henigshtein, die Ermordung seines Bruders in Auschwitz an Yad Vashem.
Eine weitere Anfrage zu Wolfgang Hönigstein wurde 1964 in Arolsen von Jan Althoff gestellt, dem Bruder von Margarethe Hönigstein.
Text und Recherche
Matthias Hell
Quellen
Einwohnermeldekarte zu Wolfgang Hönigstein, Stadtarchiv München, EWK 65.
Todesurkunde von Emil Hönigstein, Stadtarchiv München, Standesamt München III Nr. 619/1930.
Todesurkunde von Julia Hönigstein, Stadtarchiv München, Standesamt München III Nr. 3879/1939.
Interview Brigitte Schmidt mit Machum Gidal vom 13.09.1989, Stadtarchiv München
StAM PolDir. 14056, Bayerisches Staatsarchiv
Datenbank des NS-Dokumentationszentrums München
Arolsen Archives
Internetquellen
Biographisches Gedenkbuch der Münchner Juden 1933-1945, https://gedenkbuch.muenchen.de/
Wolfgang Hönigstein, Datenbankeintrag bei Holocaust.cz, https://www.holocaust.cz/en/database-of-victims/victim/94739-wolfgang-h-nigstein/
Markéta Hönigsteinová, Datenbankeintrag bei Holocaust.cz, https://www.holocaust.cz/en/database-of-victims/victim/94737-marketa-h-nigsteinova/
Bayerische israelitische Gemeindezeitung vom 1.3.1929, abgerufen unter https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/nav/index/title
Stadtadressbücher von Berlin, Wiesbaden und München, abrufbar unter https://wiki.genealogy.net/
Literatur
Stefan Meining: In der Freizeit und Douglas Bokovoy: Bar-Kochba, in: Bokovoy/Meining (Hrsg.): Versagte Heimat – Jüdisches Leben in Münchens Isarvorstadt 1914-1945, München 1994