Elsa Groshut

 
Stadtarchiv München, Kennkartendoppel 1938/39

Stadtarchiv München, Kennkartendoppel 1938/39

 

Geboren am 20. März 1892 in Roth bei Nürnberg
Deportiert am 20. November 1941 nach Kaunas
Ermordet am 25. November 1941 in Kaunas

 

Die Familie Groshut

Die Familie Groshut aus Roth kann auf eine lange Geschichte zurückblicken: Einer ihrer Vorfahren wurde 1616 in der nahe Nürnberg gelegenen Stadt eingebürgert. In der heutigen Kugelbühlstraße 60 – früher Judengasse – handelte schon Elsas Urgroßvater Hirsch Salomon Groshut mit Eisenwaren; Elsas Vater Hermann Groshut, geboren 1847, baute den Betrieb schließlich zur Firma „M. Hirsch – Eisen-, Maschinen- und Treibriemenhandlung“ aus. 1887 heiratete er die 26-jährige Paula Wassermann aus Neu-Ulm.


Elternhaus

Elsa, geboren am 20. März 1892, wuchs als Einzelkind in einem traditionsbewussten und konservativen Elternhaus auf. Ihr Vater gehörte zu den Honoratioren Roths – eine markante Persönlichkeit, stets mit großem Hut und einer „nichtrauchenden Zigarre“ im Mund unterwegs. Noch heute erinnert eine Straße an ihn. Einige Jahre war er der einzige jüdische Stadtrat, protegiert vermutlich von Baron Wilhelm von Stieber, mit dem er sich wöchentlich beim Stammtisch traf. Groshut gilt als Hauptfinancier der 1917 von Stieber gegründeten – und für die Industriestadt Roth wichtigen – Leonischen Werke Roth-Nürnberg AG. Er war nach Stieber der zweitreichste Bürger der Stadt. 1906 gab er seine Firma auf und eröffnete an gleicher Stelle eine kleine Bank, die Bayerische Disconto- und Wechselbank, die später in der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank aufging.

Die Aufregung in der hochangesehenen Familie Groshut dürfte groß gewesen sein, als 1913 offenbar wurde, dass Elsa schwanger war. Die Nachricht schlug auch in Roth hohe Wellen und bald kursierten Spekulationen über den möglichen Kindsvater. Um dem einen Riegel vorzuschieben, schickte der Vater Elsa aus ihrer Heimatstadt fort. Laut Geburtsregister des Standesamtes Kaltennordheim wurde ihr Sohn Simon Victor am 14. März 1914 in Kaltennordheim in Thüringen geboren. Als Elsas damaliger Wohnort ist Senzig bei Königs Wusterhausen angegeben.


Schwieriger Neubeginn in München

Wo Elsa Groshut und Simon sich in den darauffolgenden Jahren aufhielten, ist nicht mehr eindeutig feststellbar. Eine Weile lebte Simon, vermutlich ohne seine Mutter, in Roth. Man sah ihn dort beim Spaziergang mit dem Großvater, auch besuchte er einige Zeit die protestantische Volksschule, die israelitische Schule war mangels Schüler 1914 aufgelöst worden. Vom Frühjahr 1921 bis Oktober 1925 war Elsa „mit Unterbrechungen“ an drei verschiedenen Adressen in München gemeldet. Am 10. Januar 1922 starb ihr Vater. Bis zum Spätsommer hielt sich Elsa Groshut in Roth bei ihrer Mutter auf, dann kehrte sie nach München zurück.

Womit Elsa ihren Lebensunterhalt verdiente, ist ebenfalls nicht mehr zuverlässig nachvollziehbar. Einige Zeit soll sie „mit ihrem Mädchen“ in München Heimarbeit betrieben haben. Sie war geschickt im Nähen und es heißt, sie hätte schon in Roth für andere Personen Kleidung angefertigt. Der Information eines Rother Bürgers zufolge hatte ihr der Vater in München ein Damenkonfektionsgeschäft gekauft. Tatsächlich weist ihr Reisepass vom Dezember 1922 sie als „Geschäftsinhaberin“ aus. In seinem Entschädigungsantrag 1956 gab Simon an, seine Mutter sei Geschäftsführerin bei einer Firma Hirsch gewesen. Um welche Firma es sich dabei handelte, in München gab es einige, konnte nie geklärt werden. Elsa selbst gab auf ihrer Kennkarte 1939 als Beruf Lageristin an. Vielleicht schließt jedoch die eine Tätigkeit die andere nicht aus.

Von Oktober 1925 an lebte Elsa Groshut durchwegs in München. Zunächst wohnte sie in der Goethestraße, wechselte dann aber im Dezember 1927 in die Kraelerstraße 12 in Sendling. Spätestens ab diesem Zeitpunkt lebte Simon dauerhaft bei seiner Mutter. Am 1. August 1939 zogen sie in den vierten Stock des Hauses Kraelerstraße 6. Nach Aussagen einer ehemaligen Nachbarin lebten sie dort „sehr zurückgezogen“.

Die Wohnung bestand aus zwei großen Zimmern, einer kleinen Kammer, einer sehr kleinen Dunkelkammer, Küche und Bad, eingerichtet zum Großteil mit geerbten Möbeln ihrer Großeltern mütterlicherseits. Ein dunkelblauer Teppich bedeckte fast das gesamte Wohnzimmer. Möbliert war der Raum mit einem dunklen Eicheschrank, einem Buffet mit Glastüren, drei Clubsesseln, einem plüschbezogenen Armlehnstuhl sowie einem Tisch mit sechs Stühlen, an den Wänden hingen Bilder. Das wichtigste Möbelstück aber war der Bechstein-Flügel mit dem Klavierhocker. Elsa Groshut liebte von klein auf die Musik, als Jugendliche erhielt sie in Nürnberg Musikunterricht. Neben einer Vielzahl an Klassikern der deutschen Literatur besaß sie einen Schrank voll mit Notenbüchern und mehr als 200 Grammophonplatten. Das Grammophon stand, wie auch der 1931 gekaufte Radio Telefunken, in Simons Zimmer.


Machtübernahme der Nationalsozialisten

Von dem rigorosen Vorgehen der Nationalsozialisten nach der Machtergreifung 1933 aufgeschreckt wanderte der 20-jährige Simon Groshut im März 1934 nach England aus. Nach seinem Weggang gab Elsa Groshut die Wohnung auf und lebte danach an verschiedenen Adressen zur Untermiete.


Nach dem Novemberpogrom 1938

Nach der Pogromnacht im November 1938 wurden alle jüdischen Betriebe enteignet. Elsa Groshut verlor ihre Anstellung und fand vermutlich auch keine Arbeit mehr. 1939 bemühte sie sich als „Hausangestellte“ um die Emigration nach England. Aber alle Bemühungen blieben erfolglos. Der Besuch „von einem der lieben Brüder des guten Onkel Adi“, von dem sie Simon brieflich berichtete, dürfte kurz vor ihrer Einweisung in die Richard-Wagner-Straße 11 gewesen sein. Sie schrieb, dass ihr der »Bruder« ihren gesamten Besitz „mit Ausnahme des kleinen Bettes und des niedrigen Tisches (und einiger persönlicher Dinge)“ abnahm.

Am 15. April 1940 musste Elsa ein Zimmer im zweiten Stock der Richard-Wagner-Straße beziehen, einem sogenannten Judenhaus. Außer einem Bett und einem Tischchen hatte sie ein „Kästchen“, eine Lampe und einen Vorhang dabei – mehr war ihr nicht geblieben. Alles andere hatte sie vermutlich in den Jahren zuvor für ihren Lebensunterhalt verschleudern müssen; den Rest nahm sich dann, sarkastisch ausgedrückt, „der liebe Bruder des guten Adi“.


Deportation

Am 20. November 1941 verschleppte die Gestapo Elsa Groshut nach Kaunas. Fünf Tage später wurde sie dort ermordet.


Nach dem Krieg

Unmittelbar nach dem Krieg begann Simon Groshut verzweifelt nach seiner Mutter zu suchen und schrieb mehrere Briefe nach München. Erst 1948 erhielt er vom Suchdienst des Roten Kreuzes die Nachricht, dass „mit wahrscheinlicher Sicherheit anzunehmen ist, dass Frl. Groshut ein Opfer des Naziterrors geworden ist.“ Kurz darauf änderte Simon „aus Scham über das deutsche Volk“ seinen Namen in Simon Templer.

Mitte der 1950er Jahre meldete Simon Templer mit Hilfe eines Anwalts Entschädigungsansprüche an. Aber weder für die von seinem Großvater Hermann Groshut vererbten Wertpapiere, noch für sonstiges Vermögen oder die Einrichtungsgegenstände aus der Kraelerstraße konnten Beweise gefunden werden. Selbst für die „Judenvermögensabgabe“, zahlbar ab einem Vermögen von 5.000 RM, fehlte jeder Beleg. Lediglich der Verlust von zehn Goldmünzen, die Elsa Groshut 1939 hatte abliefern müssen, konnte nachgewiesen werden. Die Verhandlungen zogen sich bis Dezember 1961 hin. Schlussendlich gewährte der neue deutsche Staat Templer in mehreren Vergleichen etwa 9.200 DM – für eine ermordete Mutter, eine zerbrochene Lebensgeschichte, ein geraubtes Erbvermögen.

Simon Templer betrat erst 1960, sechsundzwanzig Jahre nach seiner Emigration, wieder deutschen Boden, begleitet von seiner Frau und seinen beiden Kinder. Er starb 1991.


Text und Recherche

  • Ingrid Reuther

Quellen

  • Stadtarchiv München, EWK 38, Hausbogen

  • Stadtarchiv München, Biographisches Gedenkbuch der Münchner Juden 1933-1945

  • Staatsarchiv München, Pol.Dir. 13031, OFD 7001, WB I N 223

  • Bayerisches Hauptstaatsarchiv, LEA 14358

  • Stadtarchiv Stadt Roth, Einwohnermeldeamt

  • Stadtarchiv Stadt Roth, schriftliche Auskünfte vom 16.12.2016

Literatur

  • Wolfgang P. Kastner (Hrsg.): „Auf einmal da waren sie weg“, München 2017

 
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Edith Goldstein(Gould), geborene Lauchheimer

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Albert Grünzeug