Dr. phil. Karl Josef Weigang
Geboren am 9. April 1895 in Fischeln
Gestorben am 29. Dezember 1938 im Konzentrationslager Dachau
Kindheit und Jugend
Karl Josef Weigang kam am 9. April 1895 in Fischeln, heute ein Stadtteil von Krefeld, zur Welt. Er war das erste von neun Kindern des Handlungsreisenden Josef Paul Weigang und seiner Ehefrau Maria Christine, geborene Kochen. Karl Josef wurde katholisch getauft. In den teilweise noch vorhandenen Tagebüchern beschrieb er seine Kindheit: „Bis Vollendung meines sechsten Lebensjahres genoß ich unter Obhut meiner Mutter, sowie meiner Großmutter die Freuden reinsten Jugendglückes”.
Zunächst besuchte er die Elementarschule in seiner Heimatstadt. Danach wechselte er auf die Klosterschule der Ordensgemeinschaft Sozietas Verbi Divini – Gesellschaft des Göttlichen Wortes - im niederländischen Steyl an der Maas, heute als Steyler Missionare bekannt. Später schrieb er über diese Zeit: „[…] und lernte gar bald das klösterliche Leben kennen, welches ich mir, offen gestanden doch ein wenig strenger vorgestellt. So eilten die Jahre in fleissigem Schaffen und emsigen Studium, verbunden mit innigem religiösem Eifer, und von stillen Klosterfreuden unterbrochen dahin. Niemals kann ich den seelenguten Patres für all das Gute danken was sie mir sowohl in ethischer wie ästhetischer Hinsicht ins Herz gelegt haben”.
Im Winterhalbjahr 1910/1911 kehrte das Magenleiden, an dem er schon als Sechsjähriger gelitten hatte, zurück. Er konnte am Schulunterricht nicht mehr teilnehmen und verbrachte das Schulhalbjahr Zuhause. Ende August 1911 verließ er die Schule mit dem Aufnahmezeugnis für die 4. Gymnasialklasse. Nach seiner Genesung setzte er die schulische Ausbildung jedoch nicht fort, sondern absolvierte stattdessen eine vierjährige kaufmännische Ausbildung. Danach war er vom Juni 1915 bis 1917 als kaufmännischer Angestellter bei den Krefelder Stahlwerken tätig.
Erster Weltkrieg
Noch vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 meldete sich Weigang als Freiwilliger beim „Infanterie Regiment Freiherr Vogel von Falkenstein“. Bei der militärischen Musterung stufte man ihn jedoch aufgrund seines Magenleidens als kriegsuntauglich ein. Stattdessen leistete er bis 1918 „Vaterländischen Hilfsdienst" in der Provinzial-Heil- und Nervenanstalt Bedburg.
1915 starb sein Vater, seine Mutter musste sich nun allein um die Kinder kümmern.
Nach dem Krieg besuchte er als Gastschüler das Gymnasium in Krefeld, wo er auch am 20. März 1922 das Abitur ablegte.
Studium in Innsbruck und Bonn
Zum Sommersemester des gleichen Jahres nahm er das Studium der katholischen Theologie an der Universität Innsbruck auf. In dieser Zeit wohnte er im Collegium Canisianum, ein jesuitisches Studentenwohnheim. Zur damaligen Zeit lebten in der Innsbrucker Tschurtschenthalerstraße knapp 300 Seminaristen.
Vom Wintersemsester 1922/23 bis zum Wintersemester 1924/25 setzte Weigang sein Theologiestudium an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn fort. Zusätzlich schrieb er sich an der philosophischen Fakultät ein. Er wohnte während dieser Zeit in Bonn im Collegium Albertinum, von den Bonnern liebevoll „Kaplönchenfabrik" genannt. Das Haus ist bis heute die Wohnstätte der Priesteramtskandidaten des Erzbistums Köln.
Am 29. Februar 1924 wandte sich der Theologiestudent Weigang schriftlich an das Kölner Generalvikariat mit der Bitte, seine Studien an der Universität München fortsetzen zu dürfen. Er begründet dies mit dem „Wunsch nach einer breiteren Grundlage zum Aufbau des theologischen und philosophischen Wissens und der Möglichkeit, vermittels günstiger Beziehungen, das Studium unter einem mindestens 50-prozentig geringerem Kostenaufwand fortsetzen zu können, zumal der Unterzeichner seine Studienmittel größtenteils in den Ferien selbst verdienen muss.“ Der Direktor des Collegium Albertinums, Johann Josef Serres, unterstützte den Wunsch Weigangs in seiner Stellungnahme nicht. Weigang habe im Abschlussexamen nach dem 4. Semester den philosophischen Teil nicht bestanden und solle daher in Bonn bleiben. In seiner Stellungnahme schreibt er weiter „W. ist ferner ein schwieriger Charakter, leicht geneigt zu einer selbstbewussten Kritik an Einrichtungen und Personen, tut sich schwer im Zusammenleben mit anderen. Mir scheint, das Konvikt bildet da eine bessere Schule für ihn als das Alleinleben draußen. Hinsichtlich der materiellen Schwierigkeiten könnte das hochw.[würdige] Erzb[ischöfliche] Gen[eral]Vik[ariat] ihm beruhigende Zusicherungen machen.“ Am 13. März 1924 verfügte der Kölner Generalvikar, dem Gesuch könne erst dann stattgegeben werden, wenn die Abschlussexamen in allen Teilen bestanden seien. München musste noch etwas warten.
Studium in München
1925 wechselte Karl Josef Weigang von Bonn nach München. Dort studierte er ab dem 1. Mai, dem Sommersemester, an der Ludwig-Maximilians-Universität bis zum Wintersemester 1927/28, wobei er nun im Hauptfach Pädagogik studierte. Philosophie und Theologie belegte er als Nebenfächer.
Um die Kosten des Studiums zu finanzieren, nahm Weigang jede ihm angebotene Arbeit an: Er war als Kontorist, Geschäftsreisender, Erntearbeiter, Fabrikarbeiter, Bibliothekar tätig, unterrichtete als Privatlehrer und Erzieher, vertrat den Klassenleiter einer Gymnasialklasse, war als Sozialpädagoge in einer Strafvollzugsanstalt und als Berater eines japanischen Pädagogen tätig.
Den Sommer vor der Doktorprüfung verbrachte Weigang in der alten Heimat. Er meldete sich am 8. Juni 1929 von München nach Fischeln in die Düsseldorferstr. 98 (heute Kölner Straße) ab und kehrte am 4. September 1929 nach München zurück.
Seine Dissertation "Die Formen und psychologischen Grundlagen der Werbung“ erschien 1930 im „Archiv für die gesamte Psychologie“ in der Akademischen Verlagsgesellschaft Leipzig. Seine Arbeit widmete er dem von ihm verehrten „Geheimrat Professor Dr. Georg Kerschensteiner in tiefer Verehrung“. Die Arbeit wurde mit „valde laudabilis”, also sehr gut, bewertet.
Am 19. Dezember 1929 stellte sich Weigang dann dem „Examen rigorosum“, der mündlichen Schlussprüfung zur Erlangung des Doktorgrades und bestand mit „cum laude“. Damit hatte er den Doktortitel der Philosophischen Fakultät erworben.
1929 wohnte Weigang für sechs Wochen zur Untermiete bei seinem Vorbild, Professor Dr. Georg Kerschensteiner, in der Möhlstraße 39.
Nach dem Studium war er als Heilpädagoge tätig. Seine Tätigkeit bestand in der Beratung und Erziehung seelisch zurückgebliebener Kinder. Er hielt hierzu Vorträge und unterhielt in München ein kleines Internat.
Ab dem 31. Oktober 1935 wohnte er in der Gedonstraße 12 (heute 10). Diese Wohnung war sein letzter freiwillig gewählter Aufenthaltsort.
Erste Konflikte mit den Nationalsozialisten
Aus den später getätigten eidesstattlichen Erklärungen im Rahmen des Wiedergutmachungsverfahrens wissen wir, dass er 1934 erstmals von der Gestapo verhaftetet wurde, weil individualpsychologische Bücher in seiner Tasche gefunden wurden. Eine weitere Verhaftung folgte 1936, da er weiterhin mit jüdischen Mitbürgern verkehrte. So wurde er eines Abends dieses Jahres verhaftet, als er das Haus einer jüdischen Familie verließ.
In den Akten des Wiedergutmachungsverfahren heißt es auch, er wäre „ein fanatischer Gegner des Nazitums und ein glühender Hasser Hitler`s“ gewesen. Einer dieser Zeugen sagte über ihn, dass er ein „Rechts- und Gerechtigkeitsfanatiker“ gewesen sei. Er wäre, so sagt einer der Zeugen aus, „kein Mann der Kompromisse, wenn es sich um die Verfechtung seiner Erkenntnisse handelte.“ Zudem machte er sich Feinde unter den Nationalsozialisten. „Schonungslos führte er bis zum Jahre 1937 einen Kampf gegen Schemm [gemeint ist hier vermutlich Hans Schemm, NSDAP Gauleiter Ostmark, Bayerischer Kultusminister und Reichswalter des NS-Lehrerbundes] und hatte sich zu diesem Zweck […] in Süddeutschland die Möglichkeit zu Vortragsreihen in Lehrerkreisen ermöglicht“ wie wir aus einer anderen Erklärung erfahren.
Prozess und Konzentrationslager Dachau
Am 6. Januar 1937 wurde er dann verhaftet.
Das Landgericht München I verhandelte am 21. April 1937 über die Anklage. Man warf Weigang ein Vergehen nach dem § 175, Homosexualität / Unzucht mit Männern sowie eine Urkundenfälschung, vor. Bei der Urkunde handelte sich um eine gefälschte Entschuldigung für die Berufsschule.
Im Juni 1935 war der § 175 im Zuge einer Änderung des Reichsstrafgesetzbuches deutlich verschärft worden. Während vor der Änderung nur nachgewiesene "beischlafähnliche Handlungen" strafbar waren, reichte nach der Gesetzesnovelle schon eine „unzüchtige Handlung“, soweit mit ihr eine wollüstige Absicht verknüpft ist. Das bloße Berühren, Streicheln, Umarmen, Küssen und dergleichen war bereits mit Gefängnis bedroht.
Das Gericht bezog sich auf diese Gesetzesnovelle, befand Weigang für schuldig und verurteilte ihn zu einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten sowie einer Geldstrafe von 50 RM. Bei der Strafbemessung berücksichtigte das Gericht es als „erschwerend […], dass der Angeklagte hartnäckig und dreist geleugnet“ habe. Die vom Gericht verhängte Gefängnisstrafe war mit der Untersuchungshaft verbüßt.
Am 6. Oktober 1937 verhaftete ihn die Gestapo erneut und brachte ihn als „Schutzhäftling“ ins Konzentrationslager Dachau. Dort war er mit der Häftlingsnummer 12805 im Block 5, Stube 2 bzw. Block 15, Stube 1 mit dem Haftgrund § 175 RStGB untergebracht. Auf der Schreibstubenkarte sind mehrere Lagerstrafen vermerkt: Gefängnisbunker oder "Kommandantur-Arrest", wie es offiziell hieß. Aus welchem Grund er diese erhielt, ist nicht feststellbar.
Berücksichtigt man die später getätigten eidesstattlichen Erklärungen aus dem Wiedergutmachungsverfahren, liegt der Verdacht nahe, dass im Fall Weigang der § 175 als ein besonders gut einsetzbares Strafverfolgungsmittel gegen missliebige Kreise verwendet wurde. In diesen eidesstattlichen Erklärungen äußerten sich die Zeugen dahingehend, dass Weigang nicht homosexuell gewesen sei. Weigang selbst hatte dies vor Gericht nachdrücklich zurückgewiesen.
Während Weigang im Konzentrationslager Dachau inhaftiert war, betrieb der damalige Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität München, Walther Wüst, dessen akademische "Demontage". In einem Schreiben an den Rektor der Universität brachte er zum Ausdruck, "dass im vorliegenden Falle der strengste Maßstab anzulegen ist, d.h. die Doktorwürde abzuerkennen ist". Robert Spindler, der stellvertretende Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität München, urteilte in einer Stellungnahme an den Rektor der Universität noch wesentlich schärfer: „Dr. Carl Weigang [ist] in sexueller Hinsicht pervers veranlagt und folglich als Erzieher ungeeignet. Nachdem das […] Doktordiplom ihm die Möglichkeit eröffnet hat den Erzieherberuf auszuüben, ist es meines Erachtens nunmehr geboten, dem Dr. Carl Weigang den Doktortitel zu entziehen und ihn damit von der weiteren Ausübung des Erzieherberufes auszusperren." Der Rektor wollte beide Seiten hören und forderte zunächst eine Stellungnahme Weigangs an. In dieser Stellungnahme vom 23. Dezember 1937 schrieb Weigang: „ Ich habe vor meiner Inhaftnahme beim Herrn Oberstaatsanwalt Flach Schritte zur Revision des Urteils getan“ [… ] Da ich über eine Anzahl mir jetzt unzukömmlicher Unterlagen verfüge, die mich rechtfertigen könnten, […] so bitte ich seine Magnifizenz höfl[ich], die Entscheidung über meinen Fall bis zu meiner Haftentlassung zurückstellen zu wollen, zumal ich bis dahin von meinem Dr.-Titel keinen Gebrauch mache.“
Schlimmer als der Kampf um den Doktortitel war für Karl Weigang die lebensbedrohliche Situation im Konzentrationslager. Der Alltag im Lager war unmenschlich. Gefangene wurden gedemütigt und gequält. Hans Loritz, der Lagerkommandant, war ein prädestinierter „Massenmörder im Dienste der Volksgemeinschaft“, so der Titel der Biografie von Dirk Riedel zu Loritz. Weihnachten 1938 ließ Loritz auf dem Appellplatz des KZ Dachau unter einem eigens aufgestellten Christbaum stundenlang auf mehreren Prügelböcken zahllose Häftlinge unter den Augen aller zum Appell angetretenen Häftlinge fast zu Tode prügeln.
Auffallend ist, dass kurz nach diesem schrecklichen Ereignis Weigang am 29. Dezember 1938 starb. Das Standesamt Prittlbach, heute ein Ortsteil von Dachau, stellte den Todesschein Nr. 270 aus. Als Todesursache für den nur 43 Jahre alten Weigang steht dort „Herz-/Kreislaufversagen“.
Karl Josef Weigang wurde auf Wunsch der Angehörigen in seinem Heimatort Krefeld beigesetzt.
Der steinige Weg um die Anerkennung als Verfolgter
Nach dem Krieg kämpfte zunächst die Mutter, nach deren Tod Karl Weigangs Schwester um die Anerkennung Weigangs als Opfer des nationalsozialistischen Terrors. Bei ihrem Antrag vom 18. Oktober 1946 auf Wiedergutmachung , gab Maria Weigang als Grund das politische Engagement des verstorbenen Sohnes an. Lange Jahre erkannte die Wiedergutmachungsbehörde die politische Inhaftierung jedoch nicht an. Man stützte sich dabei auf eine Auskunft des „International Information Office for the former Concentration Camp“, die der Behörde mitgeteilt hatte, Weigang sei als Schutzhaftgefangener aufgrund des §175 im Konzentrationslager Dachau inhaftiert gewesen.
Die „Wiedergutmachung“ führte für bestimmte Opfergruppen zu unwürdigen und ungerechten Ergebnissen. Homosexualität war in Deutschland noch bis 1973 ein Straftatbestand. Aus diesem Grund erhielten die nach § 175 Verfolgte keine Zahlungen. Aus Angst, erlittenes Unrecht erneut durchleben zu müssen, verzichteten viele der Überlebenden und ihre Angehörigen auf Wiedergutmachungsleistungen.
Ob er homosexuell war oder nicht, kann auch heute nicht beurteilt werden. Dem seinerzeitigen Gerichtsurteil ist zu entnehmen, dass er dies „hartnäckig und dreist geleugnet“ hat. Die Zeugen aus dem Wiedergutmachungsverfahren sagten ebenfalls aus, dass Ihnen von einer Homosexualität Weigangs nichts bekannt war. Ob er nun homosexuell war, spielt aus heutiger Sicht keine Rolle. Eines haben die Nationalsozialisten aber durch ihr Vorgehen erreicht, dass die Familie bis September 1962 um die Anerkennung als politisch Verfolgter kämpfen musste.
Dr. phil. Karl Josef Weigang wird mit einem Erinnerungszeichen in der Gedonstraße 10 (früher 12), München, gedacht.
Text und Recherche
Stefan Dickas
Quellen
Stadtarchiv Krefeld, Geburtsurkunde, Personenstandskarte, Akte 18 / 11690 Anerkennungsverfahren.
Familienbesitz, Dokumente und Bilder.
Universitätsarchiv der LMU München, Sen.-II-285, Studentenkartei I, O-Nprom. 1929/1930.
Stadtarchiv München, EWK 65, Einwohnermeldekarte.
Arolsen Archives, Teilbestand 1.1.6.7, 10777940 Schreibstubenkarte, Teilbestand 1.1.6.2, 10360150 und 10360151 Individuelle Unterlagen.
Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau, Auskunft vom 11.6.2019.
Provinzialarchiv Deutschland der Steyler Missionare, Auskunft vom 31.7.2019.
Universitätsarchiv Innsbruck, Nationale (Inskriptionsblatt) Theologische Fakultät.
Archiv der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 1922-11-11 Immatrikulation 1925-04-21--Exmatrikulation Karl Weigang.
Historischen Archiv des Erzbistums Köln, Signatur CR I 8B8.5.
Literatur
Harrecker, Stefanie: Degradierte Doktoren. Die Aberkennung der Doktorwürde an der Ludwig-Maximilians-Universität München während der Zeit des Nationalsozialismus, München 2007.
Weigang, Carl-Josef: Die Formen und psychologischen Grundlagen der Werbung. Inaugural-Dissertation. Leipzig, 1930.