Berta Wertheimer, geb. Baum
geboren am 20.07.1885 in Liboč bei Prag
deportiert am 04.04.1942 nach Piaski
Schicksal unbekannt
Herkunft und Familie
Berta Baum wurde am 20. Juli 1885 in Liboč bei Prag geboren. Ihre Eltern hießen Julie und Moritz Baum und sie hatte drei Schwestern: Hedwig, Anny und Margarete. Im Mai 1918 heiratete sie im Alter von 32 Jahren in Tirschenreuth Max Wertheimer. Bald erblickten zwei Kinder das Licht der Welt: Sohn Kurt, geboren am 23. April 1920 und Herbert Werner am 2. Oktober 1923. Zudem brachte Max Wertheimer aus seiner ersten Ehe, mit seiner früh verstorbenen Frau Elsa, einen Sohn mit: Erich, der am 05.Oktober 1911 zur Welt kam und später von Berta Wertheimer mit aufgezogen wurde.
Bekannt ist, dass die Familie in München 13 Jahre lang in der Nymphenburger Straße 29 wohnte: von Februar 1926 bis März 1939. Berta Wertheimer arbeitete als Hausfrau und Max war als Kaufmann sowie als Buchhalter tätig. Ihr Sohn Kurt beschreibt in seinem Buch „Fünf Jahreszeiten“, dass die Familie 1923, infolge der Inflation, ihr Vermögen verlor und unter großer finanzieller Not litt. So waren die Eltern gezwungen, ihre Kinder zeitweise in die Obhut des jüdischen Kinderheims in der Antonienstraße 7 in München, zu geben.
Die Zeit des Nationalsozialismus und die Verfolgung der Familie
Schon vor 1933 waren antisemitische Hetze, Ausschreitungen und Angriffe in München weit verbreitet. Unter der NS-Herrschaft folgte die systematische Entrechtung, Isolierung und Verfolgung von Menschen mit jüdischer Konfession und hinterließ bei Familie Wertheimer bald tiefe Brüche in der Familiengeschichte: Sohn Erich Wertheimer flüchtete 1935, mit 24 Jahren nach New York. Kurt emigrierte ein Jahr später, mit 16 Jahren nach Prag und dann nach Palästina.
Anfang 1939 starteten die NS-Behörden in München die Räumung von Wohnungen, in denen Menschen mit jüdischer Konfession lebten. So wurde Familie Wertheimer im April 1939 aus ihrer Wohnung vertrieben und musste sich fortan in der Reichenbachstraße 27 aufhalten. Dort befand sich bis zu den Novemberpogromen die Synagoge der osteuropäischen Jüdinnen und Juden in München. Sie wurde am 9. November 1938 verwüstet. Danach beschlagnahmte die Gestapo das Gebäude und zweckentfremdete es, unter anderem als Ghettohaus. In München gab es seit 1939 etwa 20 dieser Zwangsunterkünfte, in die ausschließlich jüdische Menschen gepfercht waren. Die Verhältnisse waren menschenunwürdig und sehr beengt. Dies war ein wesentlicher Bestandteil der weiteren Ausgrenzung, sozialen Isolierung und Entrechtung dieser Münchner*innen.
Sohn Herbert machte seit April 1938 eine Schreinerlehre im Lehrlingsheim der Israelitischen Kultusgemeinde und wohnte abwechselnd dort sowie bei seinen Eltern. Das Lehrlingsheim wurde 1928 von der Israelitischen Jugendhilfe gegründet und es fanden 45 Jugendliche eine Ausbildungs- und Wohnstelle. Ziel war es, die Jugendlichen auf die Auswanderung vorzubereiten und sie dafür in praktischen Berufen zu unterrichten. Dies deutet darauf hin, dass Familie Wertheimer geplant hatte, auch Herbert die Flucht zu ermöglichen.
Doch die antisemitische Verfolgung machte auch vor ihrem jüngsten Kind nicht halt:
Herbert wurde mit 16 Jahren, am 22. Januar 1940 verhaftet und saß über ein Jahr in den Haftanstalten Stadelheim, Neudeck und Landsberg am Lech. Am 12. März 1941 verschleppte die Gestapo ihn in das Konzentrationslager Dachau. Dort wurde der 17-jährige Herbert Werner Wertheimer noch am gleichen Tag erschossen. Die genauen Umstände seiner Verhaftung und seines Todes sind nicht bekannt.
Nach der Ermordung ihres Kindes setzte sich der Leidensweg von Berta und Max Wertheimer fort: Von der Reichenbachstraße 27 mussten sie am 4. März 1942 in das Internierungslager in der Clemens-August-Straße 9 ziehen. Eine Woche später, am 1. April 1942, kamen sie in das Barackenlager Knorrstraße 148.
Am 4. April 1942 verschleppte die Gestapo sie in das von NS-Deutschland 1939 besetzte Polen, dort in das sogenannte Ghetto Piaski. Dies war ein KZ-Zwischenlager im Distrikt Lublin, Teil des sogenannten Generalgouvernements. Odilo Lothar Ludwig Globocnik wurde 1939 in diesem Distrikt SS- und Polizeiführer des NS-Regimes. Er leitete die systematische Vernichtung der Menschen mit jüdischer Konfession und der Roma auf dem Gebiet des „Generalgouvernements“. Diese Massenmorde wurden mit dem Namen „Aktion Reinhardt“ getarnt. Mehrere tausend Jüdinnen und Juden aus Lublin und aus NS-Deutschland, wurden hierfür z.B. in das KZ-Zwischenlager Piaski verschleppt. So auch Berta und Max Wertheimer. Die Zustände dort waren entsetzlich. Viele Menschen starben aufgrund von Krankheiten, bei der Zwangsarbeit, wurden erschossen oder sie verhungerten. Die meisten wurden in den Vernichtungslagern Sobibor und Belzec ermordet.
Hier verlieren sich die Spuren von Berta und Max Wertheimer. Wie sie umgekommen sind und wo sich ihre Grabstätte befindet, ist nicht bekannt. Ein Gedenkstein in Piaski erinnert heute an diese Opfer des NS-Terrors. Von der Familie Wertheimer überlebten den Holocaust nur Erich in New York und Kurt, der nach seiner Flucht in Israel lebte und sich später Ra‘anan Galili nannte. Er schrieb seine Memoiren unter dem Titel „Fünf Jahreszeiten“ und wohnte bis zu seinem Lebensende im Jahr 2004 in Haifa.
Von Berta Wertheimers Schwestern ist dies bekannt: Hedwig Sojkova wurde am 27. Juli 1942 von Prag nach Theresienstadt deportiert und ermordet. Anny Schwarz wurde am 08. Februar 1942 von Prag nach Theresienstadt und weiter nach Piaski verschleppt und ebenfalls ermordet. Nur Margarete Wainschel - später Winchell, konnte nach New York flüchten, wo sie bis an ihr Lebensende im Jahr 1970, lebte.
In München erinnern zwei Gedenkorte an Berta Wertheimer und ihre Familie: das Familiengrab von Julie Baum, Berta Wertheimers Mutter, auf dem Neuen Israelitischen Friedhof mit Gedenkschrift für die Familie Wertheimer. Und das Erinnerungszeichen der Stadt München in der Nymphenburger Straße 29, am langjährigen Wohnort der Familie.
In München erinnert das Familiengrab von Julie Baum, Berta Wertheimers Mutter, auf dem Neuen Israelitischen Friedhof mit Gedenkschrift an die Familie Wertheimer.
Zudem gibt es für Max, Berta und Herbert Wertheimer seit 1. Oktober 2019 in der Nymphenburger Straße 29, München, ein Erinnerungszeichen.
Text und Recherche
P. Höllriegel
Quellen
Stadtarchiv München, Einwohnermeldekarte.
Stadtarchiv München, Hausbogen Nymphenburger Straße 29 und Reichenbachstraße 27.
Stadtarchiv München, Biografisches Gedenkbuch der Münchner Juden 1933-1945.
Literatur
Ra'anan Galili, Fünf Jahreszeiten, Jerusalem 2016 (Original in hebräischer Sprache, Teilübersetzung von Eva Tyrell).
Gertrud Luckner, Else Rosenfeld, Lebenszeichen aus Piaski. Briefe Deportierter aus dem Distrikt Lublin 1943, München 1968.