August Gänswein
Geboren am 23. März 1891 in Riedern am Wald
Ermordet wahrscheinlich im Januar 1942 in der Tötungsanstalt Schloss Hartheim
Herkunft und Familie
August Gänswein kam am 23. März 1891 in Riedern am Wald, einem kleinen Dorf im Schwarzwald, zur Welt. Seine Eltern, Otto (August) Gänswein und (Ursula) Maria, geborene Boll, hatten nach ihm noch sechs weitere Kinder. Drei von ihnen wurden in Riedern geboren: 1892 Gustav, 1893 Ernst und 1895 Friedrich. Wie schon Augusts Großvater war auch sein Vater Otto Gänswein Schmied. Zusätzlich betrieb die Familie eine kleine Landwirtschaft. Vermutlich reichte beides nicht zur Ernährung der Familie aus, denn gegen Ende des 19. Jahrhunderts verließ die Familie Riedern. An den Geburtsorten der drei weiteren Kinder lässt sich ablesen, wo die Familie sich in den folgenden Jahren aufhielt: Karl wurde 1898 in Ulm geboren, Frieda 1901 und Mathilde 1903 in Singen, Anna 1905 in Villingen. In diesen Jahren arbeitete der Vater als Krankenwärter, später als Fabrikarbeiter. Ab 1909 lebte die Familie dann in Konstanz.
Weitere Details über die Kindheit und Jugend August Gänsweins konnten nicht in Erfahrung gebracht werden.
Gebrüder Gänswein AG
Um 1912/13 gründete August Gänswein gemeinsam mit seinem Bruder Gustav das Handelsbüro „Gebr. Gänswein“. Das Geschäft entwickelte sich erfolgreich. Waren bis Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 sechs Mitarbeiter angestellt, stieg ihre Zahl nach Kriegsende auf 12 bis 15 Mitarbeiter. Ab Beginn der 1920er Jahre sind in zahlreichen Tageszeitungen Anzeigen der „Gebrüder Gänswein“ zu finden, die dort als „Immobilien-Konzern“ firmierte. Dabei wurde die „Zentrale Konstanz a.[m] B.[odensee]“ betont und als „Größtes Büro seiner Branche“ bezeichnet. Mehrere Zeitungsartikel erwähnten die Firmenbesitzer August und Gustav Gänswein. Nicht nur die Zeitungsannoncen lassen auf eine breit angelegte Geschäftstätigkeit schließen, auch der Aufdruck auf Briefbögen zeugt davon. Klein gedruckt unter dem Firmennamen ist zu lesen: „Immobilien, Hypotheken, Finanzierungen, Bankgeschäfte, Warenagenturen, Versicherungen, Reiseverkehrsbüro, Seeagenturen, Geldwechsel etc.“. 1923 wandelten die Brüder die Firma in eine Aktiengesellschaft um. Ab 1924 verstärkte das Unternehmen seine umfangreiche Werbung mit dem Hinweis, in 60 Städten Agenturen zu unterhalten. Ein Briefbogen wirbt mit dem Zusatz: „Niederlassungen in Deutschland, Österreich, Tschechoslowakei, Schweiz, Italien und Amerika etc.“.
Der Familienzusammenhalt zerbricht
Hinter den Kulissen scheint es nicht ganz so reibungslos gelaufen zu sein. 1924 gab es innerhalb der Familie Differenzen über die geschäftlichen Aktivitäten. August Gänsweins Bruder Gustav wollte sich selbständig machen und verließ das Unternehmen. Die Firma Gebrüder Gänswein AG wandte sich daraufhin im Juni 1924 an das Bezirksamt Konstanz mit dem Hinweis, dass Gustav Gänswein unter eigenem Namen ein Gewerbe als Immobilien- und Finanzbüro anmelden wolle. Die Firma bat darum, Gustav Gänswein die Erlaubnis hierzu nicht zu erteilen.
Kurz darauf, 1925, musste die Aktiengesellschaft Konkurs anmelden. In diesem Zusammenhang lief gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs. Die Zeitschrift Badischer Beobachter berichtete in ihrer Ausgabe vom 17. April 1926 schadenfroh von einem Prozess gegen den „ehemaligen Flaschenreiniger“ August Gänswein und zwei seiner Angestellten wegen Betrugs. Seine Verurteilung zu fünf Monaten Gefängnis auf Bewährung konnte Gänswein in der Berufung auf vier Monate reduzieren.
In diesem Zeitraum, um 1925, muss sich der Straßenbahnunfall ereignet haben, bei dem August Gänswein ein Bein verlor. Der Unglücksfall, der Konkurs seiner Firma sowie die damit verbundene Strafverfolgung dürften sein Leben auf den Kopf gestellt haben. Vermutlich waren dies die Gründe, weshalb er im Mai 1925 von Konstanz nach München zog.
Wechsel nach München
In München, wo er mehrmals die Wohnungen wechselte, blieb August Gänswein der Immobilienbranche treu. In dem Tagesblatt AZ (Abendzeitung) vom 25. Juli 1928 bot er in einem Inserat „Zerlegbare oder stationäre Garagen, Fabrik- und Lagerhallen, Werkstätten, Aufenthalts- und Wohngebäude aus 1a Bimsbeton“ zum Kauf an. Ob er damit erfolgreich war und wie lange er dieses Geschäft betrieb, ist nicht mehr festzustellen.
Sein Leben in München lässt sich fast ausschließlich nur anhand von Polizeiunterlagen nachvollziehen, was den Blickwinkel auf ihn sehr begrenzt. Schon 1925 hatte die Polizeidirektion München eine Akte zu August Gänswein angelegt. Der Anlass dazu waren Ermittlungen gegen seinen Bruder Gustav. Im Februar 1932 kam es zu einer Befragung August Gänsweins wegen des Verdachts der „Widernatürlichen Unzucht“. Eine strafbare Handlung konnte ihm nicht nachgewiesen werden. Die vermeintliche Zeugin verweigerte sogar Angaben zu ihrer eigenen Person. Dennoch hielt die Polizei den Vorgang ausführlich fest. Im Oktober 1933 kam es zu einer ähnlichen Situation. Auch dieses Mal konnte keine unsittliche Handlung festgestellt werden. Vermutlich zeigte ihn im September 1934 seine Vermieterin an. Zwar konnte ihm wieder keine strafbare Handlung nach § 175 RStGB nachgewiesen werden, doch räumte er bei der Vernehmung ein: „Bis zum Jahre 1918 oder 1919 war ich homosexuell veranlagt. Seit dieser Zeit hat sich dieser Zustand wieder verloren“.
Am 6. Oktober 1936, damals wohnte er in der Müllerstraße 34, folgte die nächste Verhaftung. In den Akten der Polizeidirektion München befindet sich eine Aktennotiz der Gestapo, der zufolge August Gänswein wegen Bauschwindels verhaftet und in Schutzhaft genommen worden war. Im Zuge dieser Ermittlungen tauchten auch die „Verfehlungen wegen § 175“ auf. Nun warf man ihm vor, in sechs Fällen des Vergehens nach § 175/175a überführt worden zu sein. Aus den Akten der Polizeidirektion lässt sich diese Behauptung nicht nachvollziehen, in keinem der dort vermerkten Fälle war August Gänswein ein Fehlverhalten nachgewiesen worden. Das Vernehmungsprotokoll des zuständigen Kriminalkommissars Kappl enthält keine relevanten Erkenntnisse aus dem Verhör, gibt aber einen Einblick in sein menschenverachtendes Weltbild. August Gänswein musste sich als „Staatsfeind schlimmster Sorte“ beschimpfen lassen, sein Verhalten sei „volksschädigend“ und ein „Verbrechen an der Deutschen Jugend“. Am 5. Dezember 1936 wurde August Gänswein in das Konzentrationslager Dachau eingeliefert. Zwei Monate später, am 17. Februar 1937, musste er vermutlich in einem Gefängnis eine Haftstrafe antreten. Am 2. Oktober 1937 wurde er ins Lager Dachau zurückgebracht.
Von Ende September 1939 bis Mitte Februar 1940 wurde das Konzentrationslager Dachau als Ausbildungsstätte der SS-Einheit „Totenkopf“ genutzt. Nahezu alle Häftlinge waren in die Konzentrationslager Buchenwald, Flossenbürg und Mauthausen verlegt worden. August Gänswein wurde in das gefürchtete Konzentrationslager Mauthausen überstellt. Am 14. August 1940 wurde er wieder in das Konzentrationslager Dachau zurückgeführt, wo er am 15. August ankam. Unklar ist, aus welchem Grund er am 6. November zu einem Verhör bei der Gestapo oder der Kriminalpolizei nach München gebracht wurde. Am 11. November traf er wieder im Lager ein, wurde jedoch am 2. Dezember 1940 in den Strafblock verlegt. Wie lange er dort bleiben musste, ist unbekannt.
Im Herbst 1941 wurden nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge durch eine Medizinerkommission selektiert. Die Einstufung August Gänsweins als „arbeitsunfähig“, der Grund dürfte die Beinamputation gewesen sein, kam einem Todesurteil gleich. Am 22. Januar 1942 – Gänswein befand sich in Baracke 15, Stube 4, des Krankenreviers – wurde er mit einem sogenannten Invalidentransport mit 100 anderen Häftlingen in Bussen zur Tötungsanstalt Schloss Hartheim bei Linz gebracht und unmittelbar nach der Ankunft vergast.
Nach der vom Standesamt Dachau II ausgestellten Sterbeurkunde starb er am 15. März 1942 an „Versagen von Herz und Kreislauf bei Darmkatarrh“. Mit dem abweichenden Datum und der bescheinigten Todesursache sollte die gezielte Tötung und der Zusammenhang mit den „Invalidentransporten“ verschleiert werden.
Als am 10. Februar 1941 während seiner KZ-Haft seine Mutter Maria starb, veröffentlichte die Bodensee-Rundschau zwar eine Traueranzeige, doch den Namen von August hatten seine Geschwister nicht mit aufführen lassen.
Gedenken
Seit dem 27. Januar 2023 gibt es für August Gänswein in der Müllerstraße 34 ein Erinnerungszeichen.
Schicksal seines Bruders Gustav Gänswein
Der ein Jahr jüngere Gustav Gänswein kam im Konzentrationslager Buchenwald ums Leben. In der Zeit vom 16. Juli 1938 bis 21. März 1939 waren beide zeitgleich in Dachau. Wegen der vorübergehenden Schließung des Lagers wurde Gustav Gänswein am 21. März 1939 nach Mauthausen und im Mai 1939 nach Dachau zurückgeführt. Als August Gänswein im August 1940 nach Dachau zurückgebracht wurde, war Gustav bereits nach Buchenwald überführt worden. Am 3. März 1940 starb er dort angeblich an akuter Herzschwäche.
Text und Recherche
Stefan Dickas
Quellen
Auskunft der Gemeindeverwaltung Ühlingen-Birkendorf vom 4.7.2022, Familienbuch.
Stadtarchiv Konstanz, Bestand S XXXIII, Z XII Auszug aus der Konstanzer Zeitung vom 12.4.1924, 24.3.1934 und vom 31.3.1934, Bodensee-Rundschau vom 11.2.1941 und 15.2.1941, S XI / 140, S I 312, S II / 11786.
Stadtarchiv München, EWK 65, G G323 und G 329.
Mauthausen KZ-Gedenkstätte, Sammlungen, MM/Y50/01/05/39, Ausdruck Meta Datenbank August und Gustav Gänswein, MM/E/13/13, MM/Y37-38.
Generallandesarchiv Baden-Württemberg, Signatur 233, Nr. 58215.
Arolsen Archives, Bestand 1.1.5 Individuelle Häftlingsunterlagen Buchenwald Gustav Gänswein Dokumente 5920495 bis 498.
Arolsen Archives, Bestand 1.1.6 Individuelle Häftlingsunterlagen Dachau Sterbeurkunde August Gänswein Dokument 10061948.
Arolsen Archives, Bestand 1.1.6 Individuelle Häftlingsunterlagen Dachau Schreibstubenkarte August Gänswein Dokument 10645891.
Staatsarchiv München, Pol.Dir. 12599.
Staatsarchiv Freiburg, B 822/ 1 Nr. 1184, Bestand Heil- und Pflegeanstalt Konstanz. Patientenakten Männer, Gustav Gänswein.
Staatsarchiv Freiburg, B 715/1 Nr. 4106, Landratsamt Konstanz.
Badische Landesbibliothek Karlsruhe, Nachlass Leopold Ziegler, K 3053 a.
Internet
Literatur
Der Rosa-Winkel-Gedenkstein – Die Erinnerung an die Homosexuellen im KZ Dachau, Herausgeber Albert Knoll, Splitter 13 des Forum Homosexualität München, ISBN 978-3-935227-19-3.