Der Reisende

 
Bild: Klett-Cotta Verlag

Bild: Klett-Cotta Verlag

 
 

Der jüdische Kaufmann Otto Silbermann, ein angesehenes Mitglied der Gesellschaft, wird in Folge der Pogromnacht 1938 aus seiner Wohnung vertrieben und um sein Geschäft gebracht. Silbermann erkennt und akzeptiert viel zu spät, dass er als Jude, auch wenn ihm die Religion egal war, im Deutschland dieser Zeit keine Heimat mehr hat. Ihm, der für Deutschland im 1. Weltkrieg gekämpft hat, will man nun sein Deutsch-Sein aberkennen.

Mit einer Aktentasche voller Geld, das er vor den Häschern des Naziregimes retten konnte, reist er ziellos umher. Zunächst glaubt er noch, ins Ausland fliehen zu können. Sein Versuch illegal die Grenze zu überqueren, scheitert jedoch. Also nimmt er Zuflucht in der Reichsbahn, verbringt seine Tage in Zügen, auf Bahnsteigen, in Bahnhofsrestaurants. Er trifft auf Flüchtlinge und Nazis, auf gute wie auf schlechte Menschen. Man fühlt seine wachsenden Ängste und die aufkommende Verzweiflung.

Noch nie hat man die Atmosphäre in Deutschland zu dieser Zeit auf so unmittelbare Weise nachempfinden können. Denn in Gesprächen, die Silbermann führt und mithört, spiegelt sich eindrücklich die schreckenserregende Lebenswirklichkeit jener Tage.

Der Autor

Ulrich Alexander Boschwitz wurde 1915 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns, der zum Protestantismus konvertiert war, geboren. Sein Vater, Sally Boschwitz, starb noch im selben Jahr als Soldat im Ersten Weltkrieg. Seine Mutter Martha Wolgast Boschwitz stammte aus der wohlhabenden Lübecker Senatorenfamilie Pitt. Boschwitz wurde protestantisch erzogen.

1935, im Alter von 20 Jahren, sollte Boschwitz zur Wehrmacht eingezogen werden. Er emigrierte gemeinsam mit seiner Mutter nach Schweden: Seine Schwester Clarissa war bereits 1933 nach Palästina geflohen. Von Schweden zog er weiter nach Norwegen und 1936 nach Frankreich. 1937/38 hielt er sich in Luxemburg auf, wo er polizeilich ausgewiesen wurde und nach Belgien zog. Von dort gingen er und seine Mutter 1939 weiter nach England. Nach Ausbruch des 2.Weltkrieges wurden sie als “feindliche Ausländer” in einem Lager auf der Isle of Man interniert. In England lebten zu dieser Zeit etwa 80.000 „feindliche Ausländer“, vor allem Deutsche und Österreicher, denen man unterstellte, sie könnten möglicherweise als Spione für Deutschland arbeiten. Tatsächlich waren darunter aber 55.000 Menschen, die aus Nazideutschland geflohen waren – die meisten jüdischen Glaubens, aber auch Gegner des nationalsozialistischen Regimes. Nachdem die britische Regierung beschlossen hatte, alle männlichen Internierten nach Übersee zu deportieren, wurde Boschwitz im Sommer 1940 auf der HMT Dunera nach Sydney verschifft. Von dort kam er in ein Lager in Hay in New South Wales. 1942 durfte er das Lager verlassen und er wollte zurück zu seiner Mutter nach England. Die Abosso, auf der er seine Rückreise antrat, wurde jedoch im Atlantik von einem deutschen U-Boot torpediert und ging unter. Boschwitz starb im Alter von 27 Jahren.

Boschwitz hatte großes schriftstellerisches Talent. Leider gibt es nur wenige Werke von ihm, da ihm durch seinen frühen Tod nur wenige Schaffensjahre vergönnt waren. Sein Debütroman „Menschen neben dem Leben“ wurde 1937 erstmals veröffentlicht. Sein zweites Buch „Der Reisende“ erschien unter dem Pseudonym John Grane 1939 in London in englischer Sprache.

 

Autor:

Stefan Dickas

Quellen:

Biografie zum Stolperstein von Ulrich Alexander Boschwitz: Stolpersteine in Berlin | Orte & Biografien der Stolpersteine in Berlin (stolpersteine-berlin.de)

Boschwitz, Ulrich Alexander "Der Reisende", Hrsg. Graf, Peter , Klett-Cotta 2018, ISBN 978-3-608-98123-0

Rediscovering the forgotten Jewish novelist who foretold the Holocaust - Europe - Haaretz.com

Zurück
Zurück

Café Schindler