Anneliese Sänger

S-Z
 

Anneliese Sänger (Quelle: Familienbesitz) 

Geboren am 27. Juli 1933 in Augsburg

Deportiert am 4. April 1942 nach Piaski

Ermordet in Piaski, Todestag unbekannt

 
 

Kindheit und Familie

Anneliese Sänger wurde am 27. Juli 1933 als Tochter von Fritz und Irene Sänger in Augsburg geboren. Die Eltern hatten im August des Vorjahres geheiratet. Ihr Vater, der Bauingenieur Fritz Sänger, war Mitinhaber des renommierten Augsburger Bauunternehmens Kleofass & Knapp. Ihre Mutter, Irene Sänger, geborene Lehmann, war Tochter eines Nürnberger Weingroßhändlers.

Häufig wissen wir über die Kindheit der ermordeten Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus nichts oder nur sehr wenig. Im Falle von Anneliese Sänger ist dies anders. Unser Wissen über ihr kurzes Leben beruht auf den Briefen ihrer Mutter  an ihren, in die USA ausgewanderten, Bruder Siegfried Stephan Lehmann. Mit Stolz, mit Furcht oder manchmal mit Freude berichtete Irene Sänger über die Erlebnisse und Begebenheiten ihrer kleinen Anneliese.

In einem Brief vom Oktober 1937 schrieb ihre Mutter über die damals vierjährige Anneliese: „Sie ist wirklich zu trollig. Jetzt sagt sie immer: mein Vati ist ein Blumen- Ingenieur“ […] – Bauingenieur –. „Den Blumen-Ing. hat sie sich selbst erdacht, da sie sich von einem Diplom keine Vorstellung machen kann.“. Auch Fotografien wurden immer wieder in die USA geschickt. Dank dieser Aufnahmen können wir uns ein Bild von Anneliese Sänger machen.

Zusammen mit ihrer Mutter besuchten sie sehr häufig ihre Oma, Karoline Lehmann. Diese war erblindet und lebte in Nürnberg.

Auch wenn Anneliese erst fünf Jahre alt war, wird sie die Angst ihrer Mutter, anlässlich der Reichspogromnacht im November 1938, gespürt haben. Ihr Vater und ihr Onkel Alfred Sänger wurden verhaftet und waren vom 11. November 1938 bis zum 15. Dezember 1938 in Dachau inhaftiert. Man hat den Vater dort unter Druck gesetzt, er sollte das Familienunternehmen Kleofass & Knapp verkaufen.

Die „Amerika-Briefe“ ihrer Mutter schildern nicht nur die kleinen Erlebnisse von Anneliese. Man spürt ab Ende 1938 auch die steigende Verzweiflung, da eine Auswanderung aus Deutschland nicht gelang. Es war in diesen Jahren fast unmöglich, eine eidesstattliche Erklärung eines US-Bürgers als Sponsor, Geld für Tickets, Ausreisesteuern und andere für ein US-Visum erforderliche Dokumente zu bekommen, selbst wenn es überhaupt ein Visum gab. Viele Juden in Deutschland versuchten auszuwandern, und vor jeder Botschaft, die Juden akzeptierte, bildeten sich lange Schlangen. Die Kontingente für die USA waren voll und die Wartelisten lang. Das Geld, das Geschäft und die persönliche Habe der Sängers waren beschlagnahmt worden und die meisten Länder waren nicht bereit, Juden aufzunehmen. Als im September 1939 der Zweite Weltkrieg begann, wurden die meisten Grenzen geschlossen. Die Sängers saßen in der Falle. Annelieses Onkel, Stephen Lehmann, war untröstlich, dass er für seine kleine Nichte, seine Schwester und seinen Schwager keine sichere Ausreise nach Amerika organisieren konnte.

Im Oktober 1939 wurden ihre Eltern gezwungen, von Augsburg nach München umzuziehen. Die Familie wohnte in München bis zu ihrer Deportation in der Maria-Einsiedel-Straße 4 I.

Am 4. April 1942 wurden Anneliese, ihre Eltern sowie ihre Tante, Berta Sänger, nach Piaski deportiert. Die Bedingungen im Ghetto von Piaski waren unmenschlich. Der eklatante Mangel an Lebensmitteln und Medikamenten sowie die überfüllten Wohnräume führten zum Tod durch Krankheit und Verhungern. Anneliese Sänger war erst acht Jahre und ihre Mutter 37 Jahre alt, als sie 1942 den schrecklichen Bedingungen im Ghetto Piaski zum Opfer fielen. Das letzte Lebenszeichen stammte von ihrem Vater. Er wurde im Herbst 1942 in das nahegelegene Zwangsarbeitslager Sawin eingewiesen und dort bei der Trockenlegung der Sümpfe eingesetzt. Seine Spur verliert sich im November 1942 im Todeslager Sobibor. Von tausend Juden, die am 4. April 1942 von München nach Piaski deportiert wurden, ist kein Überlebender bekannt. 

Anneliese Sänger mit ihrer Mutter Irene Sänger (Bild: Familiebesitz)


Gedenken

Am 24. Mai 2023 wurde vor dem letzten Wohnsitz der Familie Sänger, in der Maria-Einsiedel-Straße 4, ein Erinnerungszeichen übergeben. Bei der Gedenkfeier waren mehrere Familienmitglieder, u.a. aus den USA, dabei.

Erinnerungszeichen in der Maria-Einsiedel-Str. 4 in München (Bild: © Tom Hauzenberger)

 
 

Text und Recherche

  • Nancy Freund Heller & Stefan Dickas

Quellen

  • Familienbesitz: Briefe von Irene Lehmann an Dr. Siegfried Lehmann aus den Jahren 1936/37.

Internetquellen

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