Rupprecht Felix Neustätter

L-R
 

Stadtarchiv München, Kennkartendoppel  1938/39

 

Geboren am 15. August 1900

Deportiert am 20. November 1941 nach Kaunas

Ermordet am 25. November 1941 in Kaunas

 

Elternhaus, Kindheit und Jugend

Seine Familie nannte ihn kurz „Bob“ – vielleicht ein Überbleibsel aus der Kindersprache seines dreizehn Monate älteren Bruders Ernst. Rupprecht Neustätter war der Enkel des angesehenen Kaufmanns August Neustätter, der 1863 in der Landwehrstraße eine mehrfach prämierte Papierwarenfabrik gründete. Die Neustätterstraße im Stadtteil Neuhausen erinnert jedoch nicht an seinen Großvater, sondern ist seinem Großonkel Siegmund Neustätter und dessen Frau Rosa gewidmet, die um 1900 eine wohltätige Stiftung einrichteten. 

Nach dem Tod des Firmengründers 1910 führten seine Söhne Eugen und Albert, Rupprechts Vater, die Papierwarenfabrik gemeinsam weiter. Albert Neustätter war vierundzwanzig Jahre alt, als er 1898 in Nymphenburg die zwei Jahre jüngere Anna Hoefeld heiratete. Am 28. Juni 1899 kam ihr Sohn Ernst zur Welt, am 15. August 1900 folgte Rupprecht Felix. Seinen ersten Unterricht erhielt er in einer Privatschule in der Landwehrstraße. Danach besuchte er die Volksschule in der Schwanthalerstraße, das humanistische Gymnasium am Kaiser-Ludwig-Platz und das Schwabinger Institut Römer. Ein Internatsaufenthalt im Chiemgau rundete die Schulbildung ab. Nach einer mehrjährigen Ausbildung in der Commerzbank München trat Rupprecht in das Familienunternehmen ein. Er stieg in die Position eines Prokuristen auf und wurde dritter Gesellschafter der Firma. 1926 erwarb sein Vater ein Haus in der Friedrich-Herschel-Straße 21 in Bogenhausen, wo auch Rupprecht Neustätter bis 1928 lebte.  


Glückliche Jahre

Anfang der 1920er Jahre lernte Rupprecht Neustätter die 1902 in Wien geborene Kitty Herz kennen. Sie war Studentin der Nationalökonomie und stammte wie er aus einem wohlhabenden Haus. Am 15. März 1928 heiratete das junge Paar und bezog eine große Wohnung in der damaligen Äußeren Prinzregentenstraße 17 (heute Prinzregentenstraße 83).  

Rupprecht Neustätter war passionierter Fotograf, seine Bilder entwickelte er selbst. Die Begeisterung seiner Frau für den Reitsport teilte er zwar nicht, doch er begleitete sie gern bei ihren Ausflügen an den Starnberger See zu ihrer nichtjüdischen Freundin Friedel Lahs. Die Turnierreiterin besaß dort ein idyllisch gelegenes kleines Landhaus und eine Stallung für Pferde. Neben sehr schönen Landschaftsaufnahmen machte Rupprecht unzählige Fotos von seiner Frau hoch zu Ross oder auf der Pferdekoppel.  

Seine Kamera gab er offenbar nur ungern aus der Hand, denn er selbst ist auf Bildern nur selten zu sehen.

Kitty Neustätter beim Springreiten (Bild: Stadtarchiv München, Nachlass Neustätter, JUD-NL-NEUS-002)

Landhaus bei Pischetsried am Starnberger See (Bild: Stadtarchiv München, Nachlass Neustätter, JUD-NL-NEUS-002-035)

oben/unten: Zwei der wenigen Bilder von Rupprecht Neustätter  ( Bilder: Stadt Archiv München, Nachlass Neustätter, JUD-NL-NEUS-002-025 und JUD-NL-NEUS-002-019)


Machtübernahme der Nationalsozialisten

Nur wenige Monate nach Beginn der NS-Herrschaft ordnete Oberbürgermeister Karl Fiehler im Mai 1933 an, keine Aufträge mehr an Firmen in jüdischem Besitz zu vergeben. Die Stadt München stellte daraufhin die jahrelange Zusammenarbeit mit der Papierfabrik Neustätter ein. Ihre Monopolstellung bei Reichsbahn und Reichspost blieb zunächst erhalten, doch ab 1935 blieben auch von dort die Aufträge aus. Als zusätzlich Exportkunden verloren gingen, geriet das Unternehmen in erhebliche Zahlungsschwierigkeiten. Mit den Gläubigern musste ein Zahlungsaufschub vereinbart werden, der Gehaltskürzungen zur Folge hatte – auch für Rupprecht Neustätter. 


Eine Freundschaft auch in schwierigen Zeiten

Die massive antisemitische Propaganda machte auch vor der Idylle am Starnberger See nicht halt. Schon in den 1920er Jahren hatte die NSDAP rund um den See immer mehr Anhängerinnen und Anhänger gefunden. Nach den „Rassengesetzen“ prangten ab 1935 in den Orten Schilder mit der Aufschrift „Juden sind hier nicht erwünscht“. Auch der Bürgermeister von St. Heinrich war offenbar ein überzeugter Nationalsozialist. Mehrmals forderte er Friedel Lahs auf, die Beziehung zu ihren jüdischen Freunden zu beenden. Doch die sah nicht ein, dass sie sich vorschreiben lassen soll, mit wem sie befreundet sein durfte. Trotz der Anfeindungen waren Kitty und Rupprecht Neustätter bei ihr weiterhin willkommen. 


Die „Kristallnacht“ und ihre Folgen

1938 entzogen die rigiden Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes der Familie Neustätter jede Lebensgrundlage: Rupprecht Neustätters Mutter Anna veräußerte aus finanzieller Not im April das Haus in der Friedrich-Herschel-Straße. Im Mai musste die Papierwarenfabrik nach 75 Jahren in Familienbesitz verkauft werden. Im September starb Rupprecht Neustätters Mutter. Im Zuge der Pogromnacht verschleppte die Gestapo Rupprecht Neustätter und seinen Vater ins KZ Dachau. Der 64-jährige Albert Neustätter überlebte die Strapazen nicht, er starb am 24. November 1938. Rupprecht kam am 1. Dezember 1938 mit der Auflage frei, innerhalb von vier bis sechs Wochen Deutschland zu verlassen.  


Emigrationsziel Australien

Die Suche nach einem Aufnahmeland war schwierig. Schließlich fanden Kitty und Rupprecht Neustätter eine Möglichkeit, nach Australien auszuwandern und konnten Kontakt zu einem Herrn Smelitschek nach Sidney aufnehmen. Zwar waren sie bereits im Februar 1939 in Canberra gemeldet, doch die Genehmigung zur Einreise ließ auf sich warten. Am 3. Mai 1939 setzte die Gestapo eine erneute Frist von sechs Wochen. Beunruhigt baten sie die Münchner Quäker Annemarie und Rudolf Cohen um Hilfe, die sich bemühten, die Erteilung der Einreisegenehmigung zu beschleunigen. Eine zermürbende Wartezeit begann.  

Am 11. September 1939 mieteten sie wohl in der Hoffnung auf das baldige Gelingen der Emigration ein Zimmer in der Pension Gartenheim in der Königinstraße 21. Einen Container mit Umzugsgut schickten sie an den Hamburger Hafen, einen Koffer als Passagiergut nach Rotterdam, von wo die Schiffsreise starten sollte.  


Eine Oase auf dem Land

Einzige Lichtblicke in dieser Zeit waren die häufigen Besuche bei Friedel Lahs, die inzwischen einen Bauernhof bei Jettenhausen gekauft hatte.

In dieser Zeit fotografierte und filmte Rupprecht Neustätter viel: Kitty beim Reiten mit ihrer Freundin, auf der Koppel mit dem Fohlen und auch bei der Heuernte. So handfest konnte er selbst vermutlich nicht mithelfen. Ein einige Zeit zurückliegender komplizierter Bruch des Sprunggelenks war zwar verheilt, doch, wie die Quäker in ihren Aufzeichnungen festhielten, „nicht gut genug für landwirtschaftliche Arbeit“.

Bauernhaus bei Jettenhausen (Bild: Stadtarchiv München, Nachlass Neustätter, JUD-NL-NEUS-002-028)

Kitty Neustätter und Frau Lahs (Stadtarchiv München, Nachlass Neustätter, JUD-NL-NEUS-002-005))

Friedel Lahs und Kitty Neustätter (Bild: Stadtarchiv München, Nachlass Neustätter, JUD-NL-NEUS-002)

Friedel Lahs und Kitty Neustätter bei der Heuernte (Bild: Stadtarchiv München, Nachlass Neustätter, JUD-NL-NEUS-002-025)


Zwangsarbeit

Als die „Arisierungsstelle“ Kitty Neustätter ab Sommer 1941 zur Zwangsarbeit in der Flachsröste Lohhof verpflichtete, schwand die Hoffnung auf eine rettende Flucht aus Deutschland. 

Hinweise auf eine Zwangsarbeit Rupprecht Neustätters waren nicht zu finden. Unklar bleibt auch, ob die Gestapo in den vergangenen zwei Jahren weiter Druck auf ihn ausgeübt hatte.  

Am 23. Oktober 1941 verhängte das Reichssicherheitshauptamt ein generelles Ausreiseverbot für jüdische Bürger. Damit war der Weg nach Australien versperrt. 


Deportation

Am 20. November 1941 deportierte die Gestapo Rupprecht und Kitty Neustätter mit 997 anderen jüdischen Münchnerinnen und Münchnern nach Kaunas in Litauen. Zwei Tage dauerte die Zugfahrt, weitere zwei Tage mussten die Verschleppten in den verrotteten Zellen von Fort IX verbringen. Angehörige eines SS-Einsatzkommandos und litauische Kollaborateure erschossen sie am Morgen des 25. November 1941. 


Schicksale der Familienangehörigen:

Rupprecht Neustäters Bruder Ernst war 1923 nach Berlin gezogen. Er konnte im Dezember 1938 nach eigenem Bekunden „mit lediglich 10 Mark in der Tasche“ nach England ausreisen. Später ließ er sich in den USA nieder. 

Eugen Neustätter, Rupprechts Onkel, floh 1939 in die USA. Seine Kinder Margarete, Elisabeth und Hans emigrierten nach Ecuador. Eugen Neustätter zog später zu seinen Kindern, er starb 1947 in Quito.


Erinnerung an Kitty und Rupprecht Neustätter

Erinnerungszeichen (Foto: Tom Hauzenberger)

Für Kitty und Rupprecht Neustätter gibt es vor der Prinzregentenstraße 83 seit dem 25.11.2021 ein Erinnerungszeichen der Stadt München.


Text und Recherche

  • Ingrid Reuther

Quellen

  • Archiv Gedenkstätte Dachau, Häftlingszugangsbuch Rupprecht und Albert Neustätter,Todesanzeige Albert Neustätter.

  • Bayerisches Hauptstaatsarchiv, LEA 26959.

  • Persönliches Gespräch mit Frau Gabriele Heyde, Tochter von Friedel Lahs, am 16. Juli 1921.

  • Stadtarchiv München, Einwohnermeldekartei EWK 38.

  • Stadtarchiv München, Datenbank zum Biografischen Gedenkbuch der Münchner Juden 1933-1945.

    Staatsarchiv München, OFD 6962, WB1 a1439.

Literatur

  • Schmidt-Bachem Heinz, Eine Kultur- und Wirtschaftsgeschichte der Papier verarbeitenden Industrie in Deutschland, Berlin 2011, S. 66.

  • Selig Wolfram, Leben unterm Rassenwahn, Berlin 2001, S. 75-78.

  • Strnad Maximilian, Flachs für das Reich, München 2013.

  • Zahn Peter, Hilfe für Juden in München, Annemarie und Rudolf Cohen und die Quäker 1938-1941, München 2013, S. 206-208. 

 
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Kitty Neustätter, geb. Herz

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Ida Pauson, geb. Aufseeßer