Richard Burger
Geboren am 28. August 1880 in Schlaining (Burgenland)
Inhaftiert am 10. November 1938 im Konzentrationslager Dachau
Dort zu Tode gekommen am 16. November 1938
Herkunft und Jugend
Richard Burger wurde am 28. August 1880 als erstes von drei Kindern des damals 31-jährigen Tramway-Kontrolleurs Jakob Burger und seiner 21-jährigen Ehefrau Minna, geborene Mandl, in Schlaining (Burgenland) geboren und wuchs in Graz auf. Seine Geschwister waren Ernst und Josefine.
Er absolvierte nach der Volksschule mit 14 Jahren eine kaufmännische Lehre bei der Firma S.L. Schwarz und besuchte die Handelsschule. Im Anschluss an die Lehre sammelte er erste Berufserfahrungen bei den Firmen Max Schönbrunn sowie Auerhahn und Schwarz in Graz, um dann im Dezember 1902 eine Stelle als Geschäftsführer bei der Firma Arthur Fischer in München anzutreten.
Familiengründung
In München lernte er seine spätere Frau kennen: Laura Fischer, geboren am 7. Juni 1891 in München und einzige Tochter des Geschäftsinhabers. Das Paar heiratete am 19. Februar 1910 und bekam vier Kinder. Der erstgeborene Sohn Herbert starb im Alter von zwei Monaten am 26. Januar 1911 an plötzlichem Kindstod. Dann folgten drei Töchter: Helene, geboren am 08. Mai1912, Luise, geboren am 25. Juli 1917, und Selma, geboren am 9. Oktober 1920.
1. Weltkrieg
1914, zu Beginn des Ersten Weltkriegs, verstarb sein Schwiegervater. Lauras Mutter, Johanna, wohnte danach bis zu ihrem Tod am 17. März 1938 bei der Familie. Richard Burger musste im Ersten Weltkrieg als Feldwebel der Ersatzreserve in der österreichischen Armee im Pionier-Regiment Dienst tun und erkrankte zuletzt in Russland an Gelbsucht.
Berufliche Entwicklung in der Weimarer Republik
Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg gründete er am 24. November 1918 die Firma Aicher & Burger, aus der er im November 1924 austrat und dann am 18. Februar 1925 das Gewerbe „Vertretung von Textilwaren“ anmeldete. In diesen Jahren war die finanzielle Situation aufgrund der allgemein schlechten wirtschaftlichen Lage in Deutschland für die Familie schwierig und Laura musste auch arbeiten gehen. Ab 1. April 1932 wohnte Richard Burger mit seiner Frau, den drei Töchtern und seiner Schwiegermutter in einer 4-Zimmer-Wohnung in der Auenstraße 52. Der Enkel, Jan Rybar berichtet, er sei ein angesehener Münchner Bürger und Geschäftsmann gewesen, habe sich in München zu Hause gefühlt und einen großen Freundeskreis gehabt.
Leben unter der nationalsozialistischen Diktatur ab 1933
Mit Hitlers Machtergreifung am 30. Januar 1933 verschlechterten sich die Lebensbedingungen der Familie, weil die Verdienstmöglichkeiten von Juden durch viele Gesetze zunehmend eingeschränkt wurden. So bildete der Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte vom 1. April 1933 den Auftakt zur systematischen Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben. Unter den besonders fanatischen Nationalsozialisten in München dürfte auch die Familie Burger schwer gelitten haben. So erinnert sich die Enkelin Dr. Anna Rosenbaum an Erzählungen, dass es Überfälle der Hitlerjugend gegeben habe, die in die Wohnung eingefallen sei und vom Inventar mitgenommen habe, was ihnen gefiel. Um den Lebensunterhalt der Familie sicher zu stellen, sei der Großvater als Handlungsreisender für Herrenhemden und Unterwäsche mit schweren Koffern in ganz Bayern unterwegs gewesen. Staatlicherseits folgte eine zunehmende Entrechtung: Entzug der Staatsbürgerschaft im April 1934 und Ausstellung eines „Fremdenpasses“, Eintrag in der „Ausländerkartei“ unter der Berufsbezeichnung „Kaufmann“ am 1. Juli 1937. Im März 1938 dann der Eintrag in der „Judenkartei“ als „Prov. Vertr.“.
Die jüngste Tochter, Selma, war eine begabte Schülerin im Ballett der Staatsoper, wo sie 1935 aufgrund der Rassegesetze ausgeschlossen wurde. Dr. Anna Rosenbaum, weiß aus Erzählungen, dass es im Alltag zunehmend schwieriger und gefährlicher wurde. Die Juden durften nur am späten Nachmittag zum Einkaufen gehen, aber es habe manchmal auch Unterstützung durch anonyme Nahrungsmittelspenden gegeben. Wegen dieser Bedrohung und zunehmender Ausgrenzung habe Laura Burger emigrieren wollen, wie die Geschwister Richards, die 1935 nach Palästina auswanderten. Richard sei aber dagegen gewesen, weil er glaubte, ohne Sprachkenntnisse in einem fremden Land nicht überleben zu können. Vor allem aber habe er darauf vertraut, dass ihm als Weltkriegsteilnehmer mit Auszeichnung nichts passieren könne. Diese Annahme beruhte wohl auf den Ausnahmen für Frontkämpfer im Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933.
Während der sogenannten Kristallnacht am 9. November 1938 musste die Familie den Brand ihrer Synagoge in der Herzog-Rudolf-Straße mitansehen. Am folgenden Tag wurde Richard Burger festgenommen und ins Konzentrationslager Dachau gebracht. Über den Ablauf seiner Inhaftierung gibt es unterschiedliche Überlieferungen. Eine Erinnerung besagt, dass die Gestapo zur Wohnung der Familie in der Auenstraße 52 kam, und weil Richard Burger nicht zu Hause war, befahl, dass er sich am nächsten Morgen melden solle. Demnach habe er am 10. November 1938 das Haus verlassen und gesagt, er sei bald wieder zurück. Nach der anderen Überlieferung habe ein befreundeter Polizist die Familie vorgewarnt und diese habe sich versteckt. Als Richard Burger zur Wohnung gegangen sei, um etwas zu holen, sei die Gestapo gekommen und habe ihn festgenommen. Mit der Häftlingsnummer 21101 war er einer von 10.911 jüdischen Bürgern, die allein am 10. November 1938 im Konzentrationslager Dachau inhaftiert wurden.
Am 15. November 1938 schrieb er eine Karte an seine Frau, die mit „Ich bin in Dachau und gesund“ begann. Weiter teilte er die genaue Anschrift und die Modalitäten für wöchentliche Geldüberweisungen bis zu 15 Mark mit. Die Karte war eine Standardpostkarte des Konzentrationslagers mit strengen Anweisungen für den Schriftverkehr und dem Hinweis auf ein grundsätzliches Besuchsverbot und trug den Poststempel vom 18. November. Bereits am 16. November 1938 um 17.15 Uhr starb Richard Burger jedoch mit nur 58 Jahren angeblich an Arteriosklerose, wie das Standesamt Prittlbach bei Dachau vermerkte. Da es sich bei dieser Diagnose um eine chronische Erkrankung handelt, ist davon auszugehen, dass die wirkliche Todesursache verschleiert wurde. In einem anonymen Zeitzeugenbericht aus dem Konzentrationslager Dachau werden die brutalen Haftbedingungen in dieser Zeit beschrieben. Die Inhaftierten seien angeschrien, geschlagen und gedemütigt worden. Stundenlanges Stehen auf dem Appellplatz, Verbot des Toilettengangs und Schlafentzug waren gebräuchliche Torturen. Dadurch kamen sehr viele Häftlinge zu Tode.
Richard Burgers Grab befindet sich auf dem Neuen Israelitischen Friedhof München in der Sektion 18, Reihe 15, Platz 19.
Schicksal seiner Familie
Die Familie erhielt noch eine zweite Nachricht von Richard Burger, die ein entlassener Mithäftling überbrachte und in der er dringend zur Flucht aus Deutschland riet. Seine Frau und die drei Töchter konnten dann tatsächlich an drei verschiedenen Terminen im Verlauf der ersten Hälfte des Jahres 1939 nach England emigrieren. Dabei mussten sie ihren Hausstand auflösen und alles unter Wert verkaufen. Im Entschädigungsverfahren nach dem Krieg wurde außer einer Witwenrente nur eine geringe Summe als Ausgleich bezahlt.
Helenes Kinder, Dr. Anna Rosenbaum und Jan Rybar, und der Sohn von Luise, Dr. Robert Klein, berichten, dass in den Erzählungen der Großmutter und ihrer Mütter oft vom Großvater die Rede war und er als freundlicher und liebenswerter Mensch und wunderbarer Ehemann und Vater beschrieben wurde, der sich immer Enkel gewünscht hatte. Er bekam insgesamt acht Enkel, die er leider nicht kennenlernen durfte.
So wurde aus einer in München verwurzelten Familie eine über die ganze Welt verstreut lebende: Richard Burgers Frau Laura blieb alleine und lebte überwiegend bei der jüngsten Tochter Selma in England. Die älteste Tochter Helene lernte in England einen tschechischen Soldaten kennen und zog nach dem Krieg nach Prag. Die mittlere der drei Töchter, Luise, konnte noch im Mai 1940 mit dem letzten Passagierschiff von England in die USA gelangen zu ihrem Verlobten, Oskar Klein, der auch aus München stammte.
Am 10. Juni 2022 wurde vor dem letzten Wohnsitz der Familie in der Auenstraße 52 in einer Gedenkfeier im Beisein von mehreren Enkeln und einem Urenkel ein Erinnerungszeichen übergeben.
Text und Recherche
Maria Faltermaier-Temizel
Quellen
Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau, Eintrag Nr. 145/1938 im Sterberegister der Gemeinde Prittlbach.
Stadtarchiv München EWA-347.
Stadtarchiv München, GEW-ARI-024.
Archiv des Landesamts für Finanzen München, Entschädigungsakte Nr. 3026.
Korrespondenz mit Dr. Anna Rosenbaum, E-Mail vom 16. Oktober 2021.
Korrespondenz mit Dr. Robert Klein, E-Mail vom 20. Oktober 2021.
Rybar, Jan, Biographie Richard Burgers, vorgetragen bei der Gedenkveranstaltung am 10. Juni 2022.
Knoll, Albert, Rede bei der Gedenkveranstaltung am 10. Juni 2022.
Internetquellen
https://gedenkbuch.muenchen.de/index.php?id=gedenkbuch_link&gid=1322. aufgerufen am 15. August 2022
Literatur
Barkai, Avraham: Vom Boykott zur „Entjudung“. Der wirtschaftliche Existenzkampf der Juden im Dritten Reich 1933 – 1943, Frankfurt am Main 1988.