Hugo Aufseesser

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Hugo Aufseesser 1938 (Bild: Stadtarchiv München, DE-1992-KKA-B-0009)

Geboren am 2. März 1872 in Haßfurt

Emigrierte im März 1939 nach Cambridge

Gestorben am 1. Dezember 1959 in Cambridge, England

 
 

Hugo Aufseesser betrieb, zusammen mit seinem Schwager Martin Pauson, ein weit über die Stadtgrenzen hinaus bekanntes Spezialgeschäft für Wirtschaftseinrichtungen. Er verlor seine drei Geschwister in der Shoa und überlebte, da er emigrierte. Mit nach England nahm er seine umfangreiche Sammlung an Geschäftspapieren, Briefen, Bildern usw. Seiner Weitsicht und seinen Kinder verdanken wir, dass wir sein Leben recht umfassend beschreiben können.

Herkunft

Die Aufseessers stammten ursprünglich aus dem oberfränkischen Altenkunstadt (Landkreis Lichtenfels). Der Ort war sehr stark durch die jüdische Bevölkerung geprägt. Rund 50% der Bevölkerung im 19. Jahrhundert waren jüdischen Glaubens. Mitte des 19. Jahrhunderts verließen sehr viele Juden Altenkunstadt und der jüdische Bevölkerungsanteil sank um 1880 auf 9%. Auch die Familie von Moses Aufseesser zog in die circa 70 km entfernte unterfränkische Stadt Haßfurt. Der Vater von Hugo, Jakob Aufseesser, wurde 1832 schon in Haßfurt geboren.

1863 wohnten die Aufseessers in Haus Nr. 118 (heute Hauptstraße 51) in Haßfurt (Bild: Privat)

Um 1862 heiratete Jakob Aufsesser, Hugos Vater, die Fürther Kaufmanns- und Bankierstochter, Babette Zeiler (1839-1911). Das Paar hatte vier Kinder.

Hugo Aufseesser kam am 2. März 1872 in Haßfurt zur Welt. Er war das jüngste Kind. Sein Bruder Josef, der später das elterliche Geschäft übernahm, wurde am 21. Juni 1864, seine Schwester Ida am 22. September 1865 und Clothilde am 25. Februar 1868 geboren. Sie alle wurden in Haßfurt geboren.

Für die Aufseessers war die unterfränkische Kleinstadt nur eine Zwischenstation. Um 1881 zog die gesamte Familie in die circa 100 km entfernte Großstadt Nürnberg, die um diese Zeit schon weit über 200.000 Einwohner hatte. Der jeweilige Wechsel in eine größere Stadt ist vermutlich dem Gedanken entsprungen, dass es dort bessere Entwicklungsmöglichkeiten für die Familie geben würde.


Nürnberg

In Nürnberg betrieb die Familie am Josephsplatz (später kam noch ein Geschäft am Hefnersplatz hinzu) das „Putz- und Modewarengeschäft J. Aufseeßer“. Über die Kindheit und Jugend ist sonst leider wenig bekannt.

Seine kaufmännische Lehre absolvierte er vom 15. August 1888 bis 15. August 1890 bei den Gebrüdern Bing in Nürnberg. Im Alter von etwa 20 Jahren wurde Hugo ein Jahr zur Ausbildung nach Brüssel geschickt. Die Zeit dort nutzte er, um die Sprache gründlich zu lernen. Zudem muss er das kulturelle Angebot der Großstadt sehr genossen haben.

In seinen Lebenserinnerungen schrieb Kurt Aufseesser über seinen Vater Hugo, dass dieser Kaufmann wurde, weil dies von ihm erwartet wurde. Sein Bruder Joseph übernahm den Familienbetrieb in Nürnberg und seine Schwestern Clothilde und Ida heirateten Kaufleute. Hugo wäre vermutlich lieber Journalist geworden. Er liebte die Kunst, las viel, besuchte Theater und verfasste zu runden Geburtstagen oder Familienfeierlichkeiten Gedichte oder schrieb Sketche dazu. Familienmitglieder wurden dabei gerne als Mitwirkende eingeplant. Er liebte auch die Berge und war seit 1906 Mitglied des Alpenvereins. Zahlreiche Familienurlaube führten in die Berge.


München

In München war Hugos Schwester Ida seit 1888 mit dem Kaufmann Martin Pauson (1861-1934) verheiratet. Pauson stammte aus Redwitz in Oberfranken. Er hatte als 20-jähriger, am 5. November 1884, in der Neuhauser Straße 5, eine „Porzellan-, Glas- und Majolika-Industrie“ (farbige Keramiken) mit eigenen Werkstätten gegründet. Ab vermutlich 1892 arbeitete Hugo Aufseesser bei seinem Schwager in München. 1905 beteiligte Martin Pauson seinen Schwager am Geschäft und in der Bekanntgabe dieser Änderung ist vom „langjährigen Mitarbeiter und Schwager“ die Rede.

Familienereignisse wurden in den Münchner Neuesten Nachrichten bekanntgegeben (Ausgaben 11.09. und 2.12.1907, 15.5.1912, 3.3.1914

Martin Pauson und Hugo Aufseesser waren höchst unterschiedliche Persönlichkeiten. In einem Brief von 1952 beschreibt Hugo diesen Umstand: 

„Der Sinn für Kunst und alles, was damit zusammenhängt, „Verdirbt“ nicht den Kaufmann (wie mein Schwager Martin [Pauson] glaubte, sondern veredelt ihn. (Ich erinnere mich, wie er bei meinem Eintritt in die Wohnung am 2. März 1892 in dem dumpfen Zimmer (am Tag waren damals die Maler der Fa Pauson darin) der Neuhauserstr. 5/III -parterre war damals das Geschäft – sagte: „Und an nichts weiter denken, wie ans Geschäft“. Ich kam damals aus der leichten Künstlerwelt in Brüssel und hatte mit meinen zwanzig Jahren das Gefühl, dass jetzt die Gefängnismauern hinter mit zugefallen seien.“

Zu seinen Anfangsjahren in München konnten wir nichts finden.

Paula Aufseesser um 1922 (Bild: Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2020/237/138, Schenkung von Jonathan M. Daube)

Hugo Aufseesser um 1919 (Bild: Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2019/9/71, Schenkung von Michael Austin) 

Am 28. November 1907 heirate er in Nürnberg die Kaufmannstochter Paula Mosbacher. Sie wurde am 4. Januar 1888 als Tochter des Knopffabrikanten Hermann Mosbacher und dessen Ehefrau Clara geb. Simon in Nürnberg geboren. Die „Chuppa“, die jüdische Hochzeit, wurde am 1. Dezember 1907 durch den Rabbiner vollzogen. An diesen Tag erinnern noch die erhaltenen Glückwunschtelegramme, die sich das Paar zu einem schönen Erinnerungsband hat binden lassen. Zahlreiche Familienmitglieder, Freunde und Geschäftspartner wünschten dem Paar alles Gute. Nach der Eheschließung zog Paula zu ihrem Ehemann nach München. Das Paar wohnte in der Seidlstraße 11 / II, nahe dem Münchner Hauptbahnhof.

Das Ehepaar bekam zwei Kinder. Der Sohn Kurt wurde am 14. Mai 1912 und die Tochter Herta am 2. März 1914 geboren. Kurt Aufseesser beschreibt später die Beziehung zu seinem Vater mit ambivalenten Gefühlen. Einerseits gab es den großen Altersunterschied (Hugo war bereits 40 Jahre alt, als sein erstes Kind zur Welt kam) und andererseits war der Vater sehr viel auf Geschäftsreisen, da er für den Verkauf an Großkunden (Hotels, Restaurants und Brauereien) zuständig war. Er erinnerte sich aber auch an den Vater, der ihm Kunst, Kultur und die Berge näherbrachte.

Zu Beginn des 1. Weltkriegs war Hugo Aufseesser bereits 42 Jahre alt und damit wohl zu alt für einen Fronteinsatz. Er wurde als Dolmetscher beim Reservelazarett B in München und beim Reservelazarett Fürstenfeldbruck eingesetzt. Dort übersetzte er für kriegsgefangene, französische Soldaten und zensierte ihren Briefverkehr. Im Dezember 1916 kam Hugo Aufseesser zur Landsturm-Infanterie (Reserve-Infanterie-Regiment No. 1). Im Dezember 1918 wurde er nach Hause entlassen.

In der Firma war Hugo zuständig für Verkauf der Waren für gewerbliche Abnehmer wie Hotels, Gaststätten und Brauereien. In dieser Funktion hatte er viele Geschäftsreisen zu unternehmen.

Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2020/74/83-97, Schenkung von Jonathan M. Daube

 

Münchner Neueste Nachrichten 4.6.1929


 Zeit im Nationalsozialismus

Schon 1933 hatte die Familie unter der antisemitischen Politik des NS-Regimes zu leiden. Sein Schwager, der Rechtsanwalt Dr. Kurt Mosbacher, war verhaftet worden. Um seine Freilassung zu erreichen wandte sich Hugo Aufseesser an den – ihm persönlich bekannten – Studienrat Gebhard Himmler, den Vater Heinrich Himmlers. Himmler unterstützte ihn insofern, als dass er ihn an verschiedene Regierungsräte verwies.

Sein Schwager und Geschäftspartner Martin Pauson verstarb am 21. Oktober 1934 in München, nur wenige Tage vor dem 50. Firmenjubiläum am 5. November 1934. Die „Münchner Neueste Nachrichten“ und die „Neue freie Volks-Zeitung“ berichteten darüber. Hugo Aufseeßer, Ida Pausons Bruder, der zu diesem Zeitpunkt schon seit 42 Jahren im Unternehmen und auch Teilhaber war, führte nun alleine die Geschäfte weiter. Die Firma wurde zum 1. Januar 1935 in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt. Alleiniger persönlich haftender Gesellschafter wurde Hugo Aufseesser. Pausons Erben, Ehefrau Ida und Tochter Nelly, waren nur finanziell beteiligt.

Hugo Aufseessers Tochter Herta wanderte offiziell im September 1936 nach England aus und heirate dort den Juristen David Daube. Vermutlich hatte sie ihren Mann bereits bei ihrem Sprachkurs 1933 kennengelernt.

Am 12. März 1938 marschierten die deutschen Truppen in Österreich ein. Sohn Kurt war zu diesem Zeitpunkt in Leipzig auf der Frühjahrsmesse. Noch von Leipzig aus meldete er sich bei seinem Vater und teilte ihm mit, dass er emigrieren möchte. Zurück in München ging es dann schnell. Ein entfernter Verwandter und dessen gute Beziehungen unterstützten Kurt als „Sponsor“ mit einem Affidavit. Schon im August 1938 konnte er über Holland und England in die USA auswandern.

Beide Kinder waren nun im Ausland in Sicherheit. Für Hugo und Paula Aufseesser wurde die Lage in der Zwischenzeit immer bedrohlicher. Die Firma, für die er über vier Jahrzehnte gearbeitet hatte, wurde mit Kaufvertrag vom 22 Mai 1938 „arisiert“ und vom Oberpfälzer Fritz Haertle übernommen. Das renommierte Traditionshaus hatte zu diesem Zeitpunkt 38 Beschäftigte. Den zwei jüdischen Fachkräften wurde gekündigt. Im „Völkischen Beobachter“ verkündete Haertle, dass die Firma nunmehr in „deutschen Besitz“ übergegangen sei. Das riesige Warenlager und das Inventar wurden unter Marktwert übernommen.

Das Jahr 1938 brachte aber noch weitere Schicksalsschläge mit sich. Wie viele andere jüdische Mitbürger wurde auch Hugo Aufseesser im Zuge der Reichspogromnacht verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau verschleppt. Von dort informierte er mit einer Postkarte seine Frau über die Verhaftung. Am 20. November 1938 wurde er wieder entlassen.

Die jüdischen Mitbewohner wurden nun systematisch „ausgeplündert“. Nach dem „spontanen Volkszorn“ in der Reichspogromnacht musste die jüdische Bevölkerung für entstandene Schäden aufkommen. Die „Sühneleistung“ war schon Monate vor dem „spontanen“ Ereignis festgelegt und geplant worden. Die Aufseessers mussten 18.600 Reichsmark als „Judenvermögensabgabe“ entrichten und  eine Reichsfluchtsteuer in Höhe von 19.453 Reichsmark bezahlen. Zudem mussten sie im Februar 1939 auf dem Städtischen Leihamt München Schmuck- und Wertsachen abliefern.

Am 12. März 1939 konnte sich das Ehepaar Aufseesser nach Cambridge abmelden und waren damit in Sicherheit.


England

Hugo Aufseesser war nun 67 Jahre alt. An einen beruflichen Neustart war wohl kaum mehr zu denken. Von ihrem Vermögen war dem Ehepaar wenig geblieben. Sie mussten daher  in Cambridge sehr bescheiden leben.

Wenige Monate später, im November 1939, entzog das Deutsche Reich ihnen die Staatsbürgerschaft. Der Entzug der Staatsbürgerschaft diente dem Zweck, sich dem noch im Reich befindlichen Vermögen (Sperrkonten, Hausrat etc.) der Ausgewanderten zu bemächtigen.

Am 9. Oktober hatte sich Hugo Aufseesser, wie alle „enemy aliens“, vor einem Tribunal verantworten müssen. Er wurde zunächst von einer Internierung zurückgestellt, wurde aber dann doch von Juni bis August 1940 im Internierungscamp Huyton festgehalten.

Der Aufbau, eine deutsch-jüdische Exilzeitung, die bis 2004 in New York erschien, berichtet 1952 kurz über den 80. Geburtstag von Hugo Aufseesser.  

Am 1. Dezember 1957 feierten Hugo und Paula Aufseesser ihre Goldene Hochzeit. In bewährter Form „Meiner lieben Paula gewidmet“ dichtete er „Streiflichter“ zum Hochzeitstag und schlägt dabei die Brücke von der Hochzeit 1907, der Silberhochzeit 1932 bis in´s Jahr 1957. Es war ein Rückblick in Liebe und Dankbarkeit, aber auch mit viel Nachdenklichem angesichts dessen, wie dramatisch sich ihr Leben verändert hatte.

Vater und Sohn hatten sich 20 Jahre lang nicht gesehen. Sie schrieben sich regelmäßig und zu ganz besonderen Gelegenheiten gab es kurze Telefonate. Überseegespräche waren zur damaligen Zeit etwas sehr Kostspieliges. 1958 kam es endlich zu einem Wiedersehen. Für seine Enkel schrieb Sohn Kurt eine Autobiografie in Form von Kurzgeschichten „One Man`s Journey“. Die Reisevorbereitungen und das Treffen mit den Eltern nach so langer Zeit scheinen auch viele „Mißverständnisse“ in der Vater-Sohn-Beziehung geklärt zu haben.

Hugo Aufseesser verstarb nach kurzer, schwerer Krankheit am 1. Dezember 1959, im Alter von 87 Jahren, in Cambridge. Ihm wurde ein würdiges Begräbnis bereitet. Es hätte ihm vermutlich gefallen, dass in einem Nachruf zu seinem Tod folgendes zu lesen war „Heiter von Natur hatte er die Kraft des schlagenden Ausdrucks, ein Meister des fröhlichen Verses.“ Dutzende von Gedichten, die er zu Geburtstagen, Hochzeiten und anderen Anlässen aller Art verfasst hatte, zeugen davon.

Seine Frau, Paula Aufseesser, starb am 20. September 1975 in Cambridge.


Schicksal der Kinder und weiterer Familienangehöriger

Tochter Herta Babette Aufseesser heiratete 1936 den aus Freiburg stammenden Rechtswissenschaftler David Daube (1909-1999). Sie hatten drei Söhne. 1964 ließ sich das Paar scheiden. Herta verstarb 2004 in England.

Sohn Kurt Aufseesser, der sich in den USA Austin nannte, heiratete im November 1940 Gabrielle (später Gay) Franziska Weiss. Er verstarb 1999 in Walnut Creek, USA.

Alle drei Geschwister von Hugo Aufseesser wurden Opfer der Shoa. Clothilde Neuburger, die nach dem Tod ihres Mannes Josef Neuburger zu ihrer Schwester Ida Pausson nach München gezogen war, wurde zusammen mit dieser am 18. Juni 1942 von München in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Clothilde starb dort am 16. März 1943.Ihre Schwester Ida war bereits am 24. November 1942 in Theresienstadt verstorben. Der Bruder, Josef Aufseesser, wurde zusammen mit seiner Frau Wilhelmine und seiner Schwiegermutter, Ernestine Bacharach, am 11. September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Sie alle verstarben dort.


Text und Recherche

  • Stefan Dickas

Quellen

  • Stadtarchiv Hassfurt, C 7 / II NL Nr. 18441.

  • Stadtarchiv Hassfurt, Familienstandsbogen B zu Hugo Aufseesser.

  • Stadtarchiv Nürnberg, GSI 180 Nr. 363.648, Eintrag zu Hugo Aufseesser.

  • Staatsarchiv München, Bestand Polizeidirektion München 11498, 11499 und 11500 zu Hugo, Kurt und Paula Aufseesser.

  • Jüdisches Museum Berlin, Konvolut 520, Sammlung Familien Aufseesser / Pauson, Schenkung von Michael Austin.

  • Jüdisches Museum Berlin, Konvolut 620, Sammlung Familien Aufseesser / Mosbacher, Schenkung von Jonathan M. Daube.

  • Bayerisches Wirtschaftsarchiv, K1 IX B 44 a, Akt. 2, Fall 2; K1 IX B 44 a, Akt. 21, Fall 24 und K1 IX B 66a, Akt. 31, Fall 7.

Internetquellen

Literatur

  • Wolfram Selig: „Arisierung“ in München, Die Vernichtung jüdischer Existenzen 1937-1939, Berlin 2004.

 
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Anna Ansbacher, geb. Eberstadt

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Carry Brachvogel